Was bisher geschah
verwandten – mächtigen Familien vom 8. Jahrhundert bis 1806, dem offiziellen Ende des römisch-deutschen Reiches, herrscht: ob die Karolinger den Kaiser stellen (z.B. Karl der Große), die Ottonen (Otto I.-III.), Salier (z.B. Konrad II., Heinrich III. – V.), Staufer (z.B. Friedrich I., Barbarossa, und Friedrich II.), Welfen (z.B. Heinrich X., der Stolze, Heinrich der Löwe) oder die Habsburger (z.B. Rudolf I., Albrecht I., Maximilian I.). Denn in den wesentlichen Punkten sind sich die Herrscher einig. Etwa in Sachen Zehnt: Dass Bauern den zehnten Teil der Ernteerträge abgeben müssen, ist bis ins 19. Jahrhundert üblich – und zur Freude der Fürsten biblisch legitimiert. Im dritten Buch Moses ist der Zehnt »etwas Heiliges für den Herrn« (Lev. 27, 30). Ein Priester wacht als eine Art Urtypus des Steuereintreibers über die »Einlösung« eines Gelübdes, eine Gabe an den Herrn, die je nach Person, Alter und Geschlecht des Gläubigen auf den Silberschekel genau festgelegt wird (Lev. 27, 1-34). De facto variiert der Zehnt erheblich; zudem entspricht er in heutigen Begriffen oft einem Satz von mehr als 50 Prozent, da er ohne Abzug von Betriebsausgaben berechnet wird.
Pilgerzüge und Kreuzzugsbusiness, Bettelorden und Bankgeschäfte
Wie sich Klöster durch den Zehnt bereichern, schildert Umberto Eco in Der Name der Rose (1980) in bunten Farben. Insgesamt wächst die weltliche Macht der Kirche im Frühmittelalter zunächst durch die Gründung des Kirchenstaates und die Etablierung Land besitzender Kirchenfürsten. Im Hochmittelalter wird sie offiziell eingeschränkt – weitet sich aber bald umso stärker auf anderem Weg aus. Zu nennen sind: die kirchliche Medienmacht und religiöse Kunst, der Ablasshandel und Pilgertourismus, die Inquisition (in einigen Ländern erst im 19. Jahrhundert abgeschafft), Kreuzzüge sowie das Mönchstum als attraktive Alternative zur Mühsal des normalen Arbeitslebens und als Form der politischen Tätigkeit.
Die kirchliche Medienmacht äußert sich in päpstlichen Dekreten, Urkunden und Gesetzen. Sie hat auch deshalb einen solchen Einfluss auf die Menschen, weil die weltliche Rechtsprechung und die staatliche Organisation mangelhaft sind. Demgegenüber gibt der Vatikan Anweisungen für alle Lebenslagen. Auf dem 4. Laterankonzil von 1215, einer der wichtigsten Versammlungen von Kirchenmännern, wird unter anderem beschlossen: Die Transsubstantiation, die Wandlung von Wein und Brot in Jesu Leib und Blut, auf der die Kommunion beruht, ist ebenso verbindlich wie die Beichte beim Priester. Muslime muss man an bestimmten Kleidungsstücken erkennen, Juden am Judenhut oder anderen Abzeichen wie einem gelben Punkt an der Kleidung.
Eine derart umfassende Orientierungshilfe bietet außer der Kirche keiner. Dazu kommen Erfolgsbücher wie die Nachfolge Christi (De imitatione Christi) von Thomas von Kempen, nach der Bibel eines der am weitesten verbreiteten Bücher des Mittelalters. In einfacher Sprache schildert es, wie man von Jesus Demut erlernen kann, um in den Himmel zu gelangen. Eine Alternative zum Demütigsein ist der Erwerb von Ablässen – Urkunden, eine Art Sparbücher für Seelenheil, die Priester gegen Geld ausstellen und die besagen, dass einem die Sünden im Prinzip vergeben werden. Besonders wertvoll sind im Mittelalter die Ablässe, die man auf einer Pilgerfahrt an Orten erwirbt, an denen Jesus, seine Jünger oder andere Heilige wirkten. Dass sie dies auch weiterhin tun, garantieren Reliquien: Asche und Leichenteile von Heiligen, Knochen, Finger, Haarsträhnen, Herzen und Kleidungsstücke. Über deren Echtheit stellen garantiert unbefangene Kleriker Urkunden aus.
Der wichtigste Pilgerort des Mittelalters neben Rom und Jerusalem ist Santiago de Compostela im nordspanischen Galizien, wo angeblich die Gebeine des heiligen Jakob liegen. Noch im 21. Jahrhundert übt der Pilgerweg, der dort hinführt, einen solchen Reiz aus, dass der Komiker Hape Kerkeling ihn in seinem Buch Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg (2006) zu einer Bestsellermischung aus handfester Unterhaltung und launiger Alltagsflucht verarbeitet. Ein kurioser Vorläufer ist das mittelalterliche Liber Sancti Jacobi , die Sammlung aus Predigten und Reiseberichten aus den Hochzeiten der Pilgerreisen um 1140 – und ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung von Reiseführern. Schon damals reicht die Bandbreite der Beweggründe bei den Pilgern von der ehrlichen Suche nach Seelenheil über
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