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Was bisher geschah

Was bisher geschah

Titel: Was bisher geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loel Zwecker
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Kulturgewirr im Mittelalter, das sich aus der Völkerwanderung ergibt, die nationale Einheit in der Vielheit zu betonen. In seinem historischen Roman Ivanhoe (1819), einem der ersten und bekanntesten der Gattung, sind die Angelsachsen etwas derb, aber aufrecht und gutherzig; demgegenüber erscheinen die Normannen nett gesagt als manieriert. Zugleich erkennt Scott ihre Kultiviertheit als nutzbringend an. Was er spontan vom französischen Einfluss hält, macht er allerdings – mit typisch britischem Humor – schon durch den Namen klar, den er dem großen Helden der Normannen gibt: Front de Boeuf. Ritter Rindskopf.

KAPITEL SECHS
     
    Heiliger Slapstick
     
    Das europäische Mittelalter: der Kampf zwischen weltlicher und geistlicher Macht
     
     
    Es muss gar nicht Monty Python’s Die Ritter der Kokosnuss (1975) sein, auch eigentlich ernst gemeinte Filme, die im Mittelalter spielen, haben oft etwas Komisches an sich. Da verkündet etwa ein edler Ritter in poetischen Formulierungen hehre Ziele, seine Opferbereitschaft im gottgewollten Kampf gegen das Böse – und kommt mit seiner schweren Rüstung nicht allein aufs Pferd. In Die Ritter der Tafelrunde (1953) kontrastieren die wohltönenden Dialoge der Helden mit dem blechernen Scheppern der Fechtszenen; in Excalibur (1981) legt der Ritter die Rüstung nicht einmal beim One-Night-Stand ab. Derartige Szenen sind natürlich Klischees. Doch sind schwerfällige Ritter im Mittelalter tatsächlich normal – so normal wie kampfeswütige Geistliche. Einer der wichtigsten mittelalterlichen Historiker, Lampert von Hersfeld, beschreibt 1063 in seiner Chronik einen Vorfall in einer Kirche. Da habe der Bischof von Hildesheim, als eine Keilerei im Gotteshaus losbrach, »einen erhöhten Standpunkt gewonnen und feuert seine Leute wie durch ein militärisches Trompetensignal zu tapferem Kampfe an«.
    Imitiert der Bischof mit den Händen eine Trompete oder schreit er einfach nur gellend laut? Beides wäre lustig. Warum aber wirkt das Mittelalter im Rückblick komischer als andere Epochen, die Renaissance beispielsweise oder die Antike? Eine Besonderheit des Mittelalters ist, wie hier Erhabenes und Banales, Ideal und Wirklichkeit aufeinanderprallen: Das entspricht der Grundstruktur des Witzes. Im Mittelalter wird das Streben nach dem Göttlichen, Idealen, Transzendenten so stark kultiviert, dass die Kluft zum Alltag mit Aberglaube, mangelhafter Bildung, Rüstungstechnik und Hygiene besonders bizarr ist und mitunter zum Lachen.
    Da viele Kontraste, die im Rückblick witzig wirken, damals natürlich bitterer Ernst sind, lassen sie heute an den Slapstick denken: Der »Körperwitz«, bei dem zum Beispiel ein würdiger Herr auf einer Bananenschale ausrutscht, ist für den Betroffenen auch nicht lustig. Womöglich wurde diese Art von Witz sogar im Mittelalter erfunden. Slapstick heißt »Narrenpritsche« – ein Schlaggerät, mit dem ein Narr Lärm macht. Der Narr ist im Mittelalter insofern eine wichtige Figur, als er mit seinem Slapstick die Gegensätze von Freud und Leid vorübergehend im Lachen auflöst, (als Hofnarr) zwischen König und Volk vermittelt – zwischen sozialen Gegensätzen, wie man heute sagen würde. So wie auf der Bananenschale jeder unabhängig von Herkunft und Sozialstatus ausgleiten kann, treffen die Späße der Narren auch die höchsten Würdenträger.
    Ein anderes Mittel, Gegensätze zu überspielen, besteht darin, nicht so genau zwischen Realität und Fantasie zu unterscheiden. In mittelalterlichen Stücken, Balladen und Epen unterhalten sich Engel, Teufel, Legendenhelden und in Menschengestalt personifizierte Allegorien ganz natürlich mit »echten« Menschen. Für viele dient der Glaube an Fantasiegestalten und Traumwelten, an ein Seelenleben, wie es im Mittelalter betont wird, als Fluchtmöglichkeit vor äußeren Unbilden. Ob Slapstick oder Fantasy – das symbolische Überspielen von Gegensätzen ist im Mittelalter deshalb so wichtig, weil die Gesellschaft grundsätzlich streng in die drei Stände Adel, Geistlichkeit und Bauernschaft aufgeteilt ist. Prinzipiell wird man in einen Stand hineingeboren und bekommt so ohne eigenes Zutun seinen Beruf, Sozialstatus und Lebensstil verpasst. Die zugeteilten Positionen können viele weder mit ihrer Persönlichkeit noch Begabung ausfüllen (wie wir heute sagen würden): Adelige können nicht schreiben; Priester lieben die Gewalt; Bauern wollen nicht nur gemäß der biblischen Losung im Schweiße ihres Angesichts schuften

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