Was bisher geschah
vor ihnen teilen wie das Rote Meer damals vor Moses. Jedenfalls zeigt sich hier nebenbei, wie sehr im Mittelalter Kinder als kleine Erwachsene gelten. Mädchen werden mit 13 verheiratet, Knaben müssen früh den Bauernhof übernehmen oder als Schildknappen ihre Ritterausbildung anfangen. Die Pubertät als besondere Entwicklungsphase ist – bis weit in die Neuzeit hinein – unbekannt.
Viele arme Kreuzzügler verhungern oder erfrieren schon in den Alpen oder werden von Sklavenhändlern aufgegriffen und auf nordafrikanischen Märkten verkauft. Die Kreuzzüge sind ein verrücktes Unternehmen. Obwohl sich etwa die Cluniazensische Reformbewegung grundsätzlich als Friedensbewegung sieht und die Rückbesinnung auf den bescheidenen Dienst an Gott und den Menschen predigt, entwickelt sie bald machtpolitische Ambitionen und bedient sich der Kreuzzüge: Was für den Papst Gottes Wille ist, nennen die Cluniazenser Heiligen Krieg. Auch die Zisterzienser um Bernard von Clairvaux heizen die Stimmung in Predigten an. So nehmen Kaiser und Könige wie Friedrich I. Barbarossa und Philipp II. von Frankreich teil.
Nachdem sich der englische König Richard I. Löwenherz (1157 – 1199) wegen Seuchen und innerer Streitigkeiten im internationalen Heer des 3. Kreuzzugs heimlich auf den Heimweg aus dem Nahen Osten macht, wird er in Österreich von Kidnappern festgesetzt. Sie bringen ihn zu Herzog Leopold V. von Österreich. Er reicht Richard an den römisch-deutschen Kaiser Heinrich VI. weiter, der ihm, bevor er ihn freilässt, ein hohes Lösegeld und politische Zugeständnisse abpresst. Das ist durchaus üblich. Interessant ist die Episode auch deshalb, weil sie die damaligen Schwierigkeiten bei der Personenerkennung verdeutlicht – selbst bei Prominenten: In Zeiten vor der Verbreitung von Porträts erkennen die Kidnapper den König, der inkognito reist, nur am Königshandschuh; anderen Quellen zufolge verrät ihn die fremde Währung, mit der sein Diener vor Ort ungewöhnlich üppige Vorräte einkauft.
Über Stiftungen und militärische Orden, eine Verbindung aus Ritter- und Mönchstum, fließt die Beute der Kreuzfahrer der Kirche zu. Besonders mächtig ist der Templerorden, im 12. Jahrhundert zum Schutz von Jerusalempilgern ins Leben gerufen und mit eigener Vertretung im Heiligen Land. Doch da der französische König Philipp IV. scharf auf die im Orient geraubten Schätze des Ordens ist, klagt er die Templer Anfang des 14. Jahrhunderts unter abstrusen Vorwürfen der Ketzerei und Unsittlichkeit an und lässt Mitglieder auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Indirekt tragen die Züge allerdings auch zum Kulturaustausch bei. Nicht nur Geld und Waren wie Gewürze kommen nach Europa, sondern auch andere Elemente der höher entwickelten islamischen Zivilisation. So zum Beispiel die arabischen Zahlen – die praktischer als die römischen sind – sowie die doppelte Buchführung. Handel und Geldwesen erhalten einen Schub.
Auch auf das politische Denken haben die Kreuzzüge langfristig Einfluss. Schon im Mittelalter begeben sich christianisierte Schweden auf Minikreuzzüge gegen die finnische Bevölkerung. Ganz im Geist der Original-Kreuzzüge ist die spätere rhetorische Verwendung des Begriffs meist vom Gegensatz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gekennzeichnet: Das beginnt relativ harmlos mit dem als Kreuzzug besungenen Kampf Preußens, Russlands und Österreichs gegen Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813. Es geht aber weiter mit Hitlers »Kreuzzug« gegen den Bolschewismus, auf den Dwight Eisenhower, der amerikanische Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa und spätere Präsident, ebenfalls mit einem Kreuzzug antwortet. Die Geschichte der Kreuzzüge führt weiter über Präsident Nixons »Kreuzzug« gegen die Kommunisten im Vietnamkrieg (1965 – 1975) und George W. Bushs »Kreuzzug« gegen die »Achse des Bösen« ab 2003 im Irakkrieg. Im Sommer 2008 spricht in Deutschland der Vorsitzende der Christlich-Sozialen Union (CSU) davon, einen »politischen Kreuzzug« gegen den Einzug der Partei der Linken in den bayerischen Landtag zu führen.
Eine Neuheit könnte man mit Blick auf die Kreuzzüge darin sehen, dass die Päpste als Initiatoren die historisch ersten Schreibtischtäter sind. Während Alexander und Karl der Große und Könige bis weit in die Neuzeit in Schlachten mitkämpfen und mitunter auch fallen (etwa der schwedische König Gustav Adolf II. 1632), bleiben die Päpste im sicheren Vatikan und schicken
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