Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was bisher geschah

Was bisher geschah

Titel: Was bisher geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loel Zwecker
Vom Netzwerk:
Ablenkung durch Unterhaltung bis zur Geschäftemacherei. So wie man sich heute vorstellen könnte, dass der Papst das Vorwort zu einem Pilgerbildband mit dem Titel Wunderbar wandern mit Benedikt liefert, steuert im 12. Jahrhundert angeblich Papst Calixt die einleitende Predigt zum Reiseführer Liber Sancti Jacobi bei.
    Der Papst betont in diesem Text, Pilger sollen auf den Spuren Christi demütig barfuß laufen, ihr Geld mit den Armen teilen. Hüten sollen sie sich vor betrügerischen Wirten, Verkäufern unfrischen Fleisches, das krank mache. Wie in heutigen Reiseführern werden Ortsnamen erklärt, lokale Eigenheiten und Gefahren bis hin zu bestimmtem Ungeziefer. Im Kapitel »Gute und schlechte Flüsse am Jakobsweg«, in dem es um »heilsame« und »todbringende«, vergiftete Flüsse geht, liest man: »Schließlich gibt es einen Fluß, der von der Stadt Santiago zwei Meilen entfernt liegt an einem bewaldeten Ort, Lavamentula [lat. mentula = Penis] genannt, weil dort die französischen Jakobspilger aus Liebe zum Apostel nicht nur ihre Geschlechtsteile, sondern den ganzen Körper nach Ablage ihrer Kleider von Schmutz reinigen.«
    So prägt christliches Gedankengut den Alltag auf allen Ebenen. Ab Mitte des 12. Jahrhunderts entstehen auch die ersten gotischen Kathedralen in Frankreich, in St. Denis, Paris, Laon, Amiens und Chartres, die mit ihren Spitzbögen die romanischen Kirchen mit ihren Rundbögen und schweren Mauern ablösen. Mit ihren langen Säulen, Kreuzrippengewölben und leuchtenden Fenstern verkörpern die neuen Bischofskirchen für viele, die in Hütten wohnen, das himmlische Jerusalem, das wie ein irres Raumschiff auf der Erde gelandet ist. Nebenbei dienen sie mit ihren Skulpturen biblischer Könige zur Festigung der Monarchie. So werden in der Kathedrale von Reims die französischen Könige gekrönt. Gemäß der mittelalterlichen Dialektik sind die Kathedralen einerseits Ausdruck höchsten Glaubens, der idealen Gemeinschaft, die über Generationen hinweg an etwas Schönem, Gutem, Großartigem und somit dem Seelenheil arbeitet. Andererseits bauen Städte die Kathedralen schlicht als Attraktion für zahlende Pilger, kurbeln damit ihre Wirtschaft an und stellen eigene Reliquien aus. Im Fall von Chartres ist es statt eines Herzens oder Haarbüschels das Hemd der Jungfrau Maria.
    Die Pilgerreisen sind auch der Anlass für insgesamt sieben Kreuzzüge, an denen ab 1096 bis ins Spätmittelalter neben Königen, Rittern und Fußsoldaten auch Frauen und Kinder teilnehmen. Offiziell haben sie die Rückgewinnung des Wallfahrtsortes Jerusalem zum Ziel, der seit dem 7. Jahrhundert im Besitz von Arabern ist. Um 1070 erobern seldschukische Türken Palästina und machen danach christlichen Pilgern das Leben schwer. Außerdem bittet Byzanz um Hilfe gegen die Türken. Laut Papst Urban II., der zum Kreuzzug aufruft, geht es um das Heilige Land, aber auch generell um den Sieg über den Islam. So können die Kreuzzüge auch mal in Ägypten oder Lissabon enden. Auf Betreiben von Venedig wird der 4. Kreuzzug von 1202 bis 1204 mit dem Ziel Ägypten sogar zur Konkurrenzstadt Byzanz umgelenkt – und damit gegen Christen. Das Plündern und Morden unter Christen lässt sich theoretisch vage rechtfertigen: Schließlich haben sich die katholischen Christen aus Rom und die griechischorthodoxen aus Byzanz spätestens seit dem Schisma, der Trennung im Jahr 1054, irgendwie auseinandergelebt. In der Sache bedeuten die zwei Konfessionen keinen großen Unterschied, aber in der Form – und als Vorwand.
    Wie bei den Pilgerfahrten nehmen die Menschen aus unterschiedlichsten Motiven an den Kreuzzügen teil. Natürlich glauben viele Kreuzzügler wirklich an ihre Sache. Teils lockt auch schlicht die Aussicht auf Reichtum und Abenteuer in fernen Ländern – zumal wenn einen zu Hause (auch) Pest und Hunger bedrohen oder man einen horrenden Zehnt zahlen muss. Oder es ist schlicht Gruppenzwang. Schon auf dem Weg vergewaltigen und morden Volksmassen, von Priestern und verbrecherischen Trittbrettfahrern aufgehetzt, jedenfalls fremde Völker – und einheimische Juden, die »Mörder Christi«. Insgesamt gehen Kreuzzüge fast immer mit Plünderungen und mit Gemetzel an Andersgläubigen einher.
    Unklar bleibt, inwieweit sogenannte Kinderkreuzzüge wirklich stattgefunden haben, ob wirklich Tausende, wie es in manchen Überlieferungen und Legenden heißt, in einer Art Massenrausch der Vision eines Jungen gefolgt sind, der meinte, das Mittelmeer werde sich

Weitere Kostenlose Bücher