Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
mystischen Religiosität nimmt schon die höchste Stufe des Gebetes oder der Meditation die Vollendung voraus. Unter Mißachtung von Welt, Materie und Leib konzentriert sich der Mensch ausschließlich auf das »Ab-solute«, das von allem »Los-Gelöste«, auf das Eine, Unendliche, Ewige. Erfüllung findet solches Streben entweder (wie in der christlichen Mystik) in der Ekstase der mystischen Liebe, im beseligenden Einswerden mit der Gottheit oder aber (wie in Hinduismus und Buddhismus) im Eingehen ins Nirwana, in der beseligenden Ruhe und Leidenschaftslosigkeit, in der Vernichtung des Lebensdurstes und im »Verwehen« im Einen und Einzigen.
Sollen wir uns also so die Vollendung, den Himmel, das Reich Gottes vorstellen? Unter dem Einfluß der platonischen Ideenschau, des jüdisch-hellenistischen Philosophen Philon und der neuplatonischen Mystik hat man sich schon in der altkirchlichen Theologie konzentriert auf die »Visio beatifica«, die »beseligende Schau« Gottes . So insbesondere Augustins neuplatonisches Modell einer ganz und gar vergeistigten Glückseligkeit, wo die Materie, der Leib, die Gemeinschaft, die Welt bestenfalls am Rande erwähnt werden.
Gewiß, Augustin spricht auch von der »Stadt Gottes« und dem »himmlischen Jerusalem« – kollektiv-eschatologische Bilder menschlicher Gemeinschaftsbildung –, und wenige Sätze umschreiben inhaltlich so eindrücklich und sprachlich so brillant die Vollendung wie der Schluß von Augustins großem geschichtstheologischen Werk »Über den Gottesstaat«, wo die Rede ist vom großen Sabbat, dem Tag des Herrn, dem ewigen achten Tag, der die ewige Ruhe des Geistes und des Leibes bringen wird: »Da werden wir frei sein und werden sehen, werden sehen und werden lieben, werden lieben und werden loben. Siehe, das wird am Ende sein ohne Ende. Denn was anderes ist unser Ende als zu gelangen zu dem Reich, dessen kein Ende ist?«
Gewiß hat Gott – wenn irgendwo – so in seinem Reich den absoluten Vorrang, den Primat schlechthin. Und doch: Wird hier nicht die Verengung des Neuplatonikers sichtbar, der alles individualisiert, verinnerlicht und vergeistigt: das Freisein, Sehen, Lieben, Loben – alles ganz auf Gott ausgerichtet (»Gott und meine Seele«), ohne die Erwähnung zwischenmenschlicher Beziehungen und kosmischer Dimensionen? Kommen nicht von solcher exklusiv betonten »Gottesschau« und derart sublimer »Gottseligkeit« jene heutzutage mit Recht abgewiesenen Vorstellungen: von den »Heiligen auf goldnen Stühlen sitzend« (Marie Luise Kaschnitz), vom langweiligen »Halleluja«-Singen auf den Wolken (Ludwig Thomas Parabel vom »Münchner im Himmel«), vom »Himmel der Engel und der Spatzen« (Heinrich Heine), vom öden Ort einer aussichtslosen, erwartungslosen »banalen Ewigkeit« (Max Frisch)? Wie steht es denn – bei Kaschnitz und in Dostojewskis Karamasoff-Schluß klingt es an – um die menschliche Kommunikation, Sprache, Gemeinschaft, Liebe? Wie steht es um die Natur, die Erde, den Kosmos? Schauen und lieben wir allein Gott, die anderen Menschen aber, wie manche Theologen meinen, bestenfalls indirekt? Ist das alles nicht ein Himmel, dem außer dem Gold der Ewigkeit alle Farbe fehlt, alle Wärme, Empfindung, vitale Freude, Sinnlichkeit, echtes Menschenglück – und damit so ungefähr alles, was schon auf Erden ein »alternatives Leben« ausmacht? Ein Himmel für Ästheten und Asketen?
Zu Recht bemerkt der katholische Theologe Hermann Häring zur »radikalen Sublimierung vitaler Bedürfnisse« im »mönchisch-asketischen Himmelsideal«, das nur »einer kleinen, religiös hochbegabten und intellektuell möglichst trainierten Elite möglich« sei: »Sagen wir es ohne alle Anmaßung und ohne ein Urteil über die Erwartungen früherer Generationen zu fällen: Für viele Menschen hat ein solcher Himmel zu wenig mit der Erde , mit diesem Leben, zu wenig mit ihren Hoffnungen zu tun. Auf eine gefährlich selbstverständliche Weise war er zum Reich der reinen Geister geworden. Zu sehr haben wir ihn als das Ziel einer glücklichen Flucht aus dem Diesseits verstanden. Die Langeweile seiner Ausstattung hat allmählich die Hoffnungsimpulse der Menschen überdeckt.«
Wem solcher Einspruch allzu weltlich vorkommt, der denke an die Schrift: Ist mit solcher vergeistigten Gottesschau das abgedeckt, was Altes und Neues Testament vom Endzustand zu sagen wissen? Zugegeben: Was schon nach dem Alten Testament für den Menschen auf Erden tödlich ist – Gott sehen –, wird
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