Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
nach dem Neuen Testament zentraler Inhalt der Vollendung. Aber wichtig im Blick auf die Mystik: die Erfüllung der Verheißung erfolgt in der Zukunft ! Schon Jesus selber, wohl Gedankengänge aus der Apokalyptik aufgreifend, sagt in der Bergpredigt: »Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.« Und nicht weniger deutlich macht es Paulus, daß die Gottesschau nicht auf Erden, durch Gnosis oder Mystik, zu erreichen ist, sondern erst in der Vollendung: »Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.« Und im ersten Johannesbrief heißt es: »Wir wissen, daß wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.« Und wichtig vor allem: Was nach dem Neuen Testament zentraler Inhalt der zukünftigen Vollendung ist, ist doch nicht ihr einziger Inhalt!
Die neue Erde und der neue Himmel
Daß die Bibel die Vollendung in Gott mit Hilfe einprägsamer irdisch-menschlicher Bilder umschreibt, lernen wir vielleicht – angesichts des weit fortgeschrittenen Prozesses der Intellektualisierung in Theologie und Kirche – wieder neu auch als eine Chance zu begreifen. Wir lernen vielleicht, welche geistige Verarmung es bedeutete, wollte man diese Bilder wegrationalisieren oder auf einige Begriffe und Ideen reduzieren: Da ist schon bei Jesus selber die Rede vom endzeitlichen Freudenmahl mit neuem Wein, von der Hochzeit, vom großen Festmahl, zu dem alle geladen sind, da herrscht allenthalben große Freude … Alles Hoffnungsbilder, noch nicht von der Blässe des Gedankens angekränkelt.
Gewiß kann man sich den Himmel auch allzu sinnlich , allzu phantastisch ausmalen. So etwa, wenn nicht nur die Apokalyptik, sondern im Anschluß an jüdisch-christliche Vorstellungen der Koran das Paradies – wirklich nur symbolisch? – voll der irdischen Seligkeit sieht: In den »Gärten der Wonne« unter Gottes Wohlgefallen (von der Gottesschau ist am Rande die Rede) das »große Glück«: ein Leben voller Seligkeit, auf edelsteingeschmückten Liegebetten, köstliche Speisen, Bäche niemals verderbenden Wassers und Milch von geklärtem Honig und köstlichem Wein, gereicht von ewig-jungen Knaben, die Seligen zusammen mit entzückenden Paradiesjungfrauen, die niemand zuvor berührte (»großäugige Huris als Gattinnen«).
Umgekehrt aber mag es nicht nur manchem Moslem, sondern auch manchem Christen als allzu übersinnlich erscheinen, wenn etwa nach … Thomas von Aquin selbst die Himmelskörper in ewiger Ruhe verharren, die Menschen nicht essen und trinken und sich selbstverständlich nicht fortpflanzen; Pflanzen wie Tiere seien deshalb entbehrlich auf dieser neuen Erde, die ohne Flora, Fauna und selbst Mineralien, dafür aber mit viel Glorienschein (»aureolae« der Heiligen) ausgestattet sein wird …
Hat man in dieser ganzen mehr platonisierenden als christlichen Tradition nicht jene Verheißungen einer befriedeten Natur und einer befriedeten Menschheit weithin vergessen, wie sie für Juden und Christen schon im Jesaja-Buch (Marie Luise Kaschnitz hat recht: nicht für die Gegenwart, sondern für die Zukunft!) angekündigt sind? »Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frißt Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist …«
Am Ende des Jesaja-Buches – beim Dritten Jesaja nach dem babylonischen Exil – findet sich auch jenes … große Wort, welches wohl am umfassendsten die Vollendung ansagt, die auf keinen Fall weltflüchtig, materiefeindlich, leibabwertend verstanden werden darf, die vielmehr als Neuschöpfung – ob in Umgestaltung oder Neugestaltung der alten Welt –, eben als »neue Erde und neuer Himmel« , darum unsere beglückende Heimat, zu verstehen ist: »Denn schon erschaffe ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Man wird nicht mehr an das Frühere denken, es kommt niemand mehr in den Sinn. Nein, ihr sollt euch ohne Ende freuen und jubeln,
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