Was danach geschah
zu betrachten und wieder freizulassen. Die Jungs allerdings waren erst zufrieden, wenn sie sie gequält und eine Menge von ihnen getötet hatten. Ihre Eimer verwandelten sich in Schlachtfelder.
Karen und ich waren entsetzt. Wir flehten die Jungs an, den Wettstreit zu beenden und die Krebse zu verschonen. Wir versuchten, ihnen die Eimer wegzunehmen, doch die Jungs waren stärker. Wir warfen Steine nach ihnen und beschimpften sie. Wir drohten sogar, sie zu küssen, wenn sie nicht aufhören würden, doch es war sinnlos. Nachdem wir die Krebse nicht hatten befreien können, war ich entschlossen, die Jungs für ihre Verbrechen vor Gericht zu stellen. Dazu steckte ich am Ufer einen Gerichtssaal mit Steinen und Stöcken ab. Ich wusste, wie es im Gericht ablief. Mein Opa Bellini war Anwalt, und ich hatte zugesehen, wie er Zeugen kühn und von gerechtem Zorn gepackt ins Kreuzverhör genommen hatte. Und ich selbst hatte nach dem Unfall mit meinem Arm im Gericht als Zeugin ausgesagt. Also ernannte ich mich zur Staatsanwältin und forderte Karen auf, gleichzeitig die Rolle der Richterin und der Geschworenen zu übernehmen. Zu meinem Entsetzen beging Karen Verrat sowohl an den Krebsen als auch an mir, weil sie sich weigerte. Sie behauptete, die Jungs zu bestrafen nütze nichts. Ich dachte, sie wäre in einen der Jungs verliebt, wahrscheinlich in Lenny Basilio, der ihr immer wieder seine Krebse gezeigt hatte. Selbst die Jungs zweifelten Karens Gründe an. Das musste ich ihnen zugutehalten, weil sie damit eingestanden, etwas Falsches getan zu haben. Außerdem war es für sie langweilig geworden, Krebse zu töten, so dass sie sich mit der Gerichtsverhandlung etwas mehr Spaß erhofften.
Da Karen nicht behilflich sein wollte, boten die Jungs an, abwechselnd als Geschworene aufzutreten, und versprachen, der Beweisaufnahme unparteiisch zuzuhören und ein gerechtes Urteil zu fällen. Ich war dagegen, doch Karen, die sich in ihrer Rolle als Spielverderberin gefiel, erinnerte mich daran, dass die Geschworenen von der Verteidigerseite ausgesucht werden und ich der Auswahl nur zustimmen konnte. Ich würde also Staatsanwältin und Richterin sein, während Karen nur zusehen wollte.
Um ihr eins auszuwischen, stellte ich Lenny Basilio als Ersten vor Gericht. Lenny war von den Jungs der Schwächste und Empfindsamste und wurde immer nur herumgeschubst. Aber er war auch der Netteste. Wegen seiner anfänglichen Angst vor den Krebsen hatte er sich von den anderen hänseln lassen müssen, dann aber dank seiner Effizienz den größten Krebs gefangen – einen weisen, alten Großvater aus der Familie der Krustentiere, groß wie ein Babyhummer. In Lennys Sammlung war er bei weitem der größte und kräftigste Krebs, aber zu schwer und zu langsam, um sich gegen die jüngeren zu verteidigen, und so wurde er in Lennys Eimer zum ersten Todesopfer. Da Lenny bei dessen Tod ehrliche Reue gezeigt hatte, würde ich bei ihm mit einem Urteil wegen Mordes leichtes Spiel haben.
Ich rief ihn in den Zeugenstand – ein flacher Stein auf einer Plattform aus Stöcken – und forderte ihn auf, die rechte Hand zu heben. Das Recht auf Zeugnisverweigerung gab es bei uns am Ufer des Little Juniata River nicht. Alle Angeklagten waren zur Aussage verpflichtet.
»Schwörst du, Lenny Basilio, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, so wahr dir Gott helfe?«, fragte ich ihn.
Lenny zuckte mit den Schultern und setzte sich.
Ich stellte seinen übelriechenden Eimer vor ihn, der mit Krebsstücken gefüllt war. »Hast du diese Krebse in diesen Eimer getan?«
Lenny blickte in den Eimer, dann zu seinen Freunden.
»Denk dran, Lenny«, ermahnte ich ihn, »du stehst unter Eid. »Wenn du lügst, wirst du von einem Blitz erschlagen.«
Lenny winselte auf. »Aber der Krebs hat mich zuerst gezwickt!«
»Ja oder nein?«, beharrte ich. »Hast du diesen Eimer mit Krebsen gefüllt?«
»Ja.«
»Stimmt, du hast es getan. Und nachdem du ihn gefüllt hast, hast du ihn da geschüttelt, damit die Krebse gegenseitig nach sich schnappen?«
Bevor Lenny antworten konnte, wühlte ich im Wasser und zog den leblosen Großvaterkrebs heraus, der in der Hitze bereits weiß wie eine gedünstete Riesengarnele wurde. Seine rechte Schere war amputiert worden, genauso wie mein rechter Arm. Ich hielt den Krebs eine Weile in Richtung der Geschworenen. Diese kicherten zwar und rissen derbe Witze, doch die meisten ließen an ihren Gesichtern erkennen, dass selbst sie über das Geschehene entsetzt
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