Was danach geschah
zog den Gürtel aus meiner Hose, schlang ihn um meinen und Lennys Arm und zurrte ihn mit den Zähnen fest. Jetzt waren wir, der Gefangene und seine Aufseherin, aneinandergebunden. Er konnte nicht mehr fliehen und musste so lange im Wasser bleiben, wie ich im Wasser blieb. Stolz sah ich zu Karen hinüber, die leicht vergnügt nur den Kopf schüttelte.
So standen wir im Wasser, Lenny und ich. Er zerrte hin und wieder an meinem Arm, um sich zu befreien, doch es war sinnlos. Wenn er wimmerte und protestierte, befahl ich ihm, den Mund zu halten. Wenn er umherplanschte und ich ins Stolpern geriet, rammte ich ihm meinen Ellbogen in die Rippen. Ich war entschlossen, ihm gegenüber genauso gnadenlos zu sein, wie er es den Krebsen gegenüber gewesen war. Dies ging fast eine halbe Stunde lang so, doch ich hatte das Gefühl, der Nachmittag müsste schon um sein. Es wurde spät. Normalerweise würden wir uns jetzt auf den Nachhauseweg machen. Schließlich erhob sich Karen und sagte, sie würde gehen.
»Warte«, rief ich. »Du kannst nicht gehen. Du musst hierbleiben und mir Gesellschaft leisten.«
»Ich verzichte«, erwiderte Karen und kletterte das Ufer hinauf.
»Aber du musst.« Ich war wütend. Sie hatte mich während der Verhandlung verraten und tat es jetzt schon wieder.
»Nein, muss ich nicht«, widersprach Karen. »Ich habe mit den Krebsen nichts angestellt, und es war nicht meine Idee, Lenny in den Fluss zu verbannen. Ich gehe nach Hause.«
»Und was soll ich tun?«, fragte ich. »Die ganze Nacht hier mit Lenny alleine bleiben?«
Lenny wirkte entsetzt.
»Sieht ganz danach aus«, antwortete Karen. »Wenn du ihn für den Rest seines Lebens in den Fluss verbannen willst. Viel Spaß.« Sie machte Anstalten fortzugehen.
»Warte«, flehte ich. »Was soll ich tun? Ich habe doch keine andere Wahl. Die Krebse verdienen Gerechtigkeit.«
Karen blieb stehen und blickte ungläubig zu mir zurück. Ich muss ebenso elend und bemitleidenswert ausgesehen haben wie Lenny. Schließlich watete sie ins Wasser. Wie ein Engel kam sie mir vor. Ihr Gesicht strahlte in der Nachmittagssonne, ihre blauen Augen funkelten vom glitzernden Wasser. Als sie bei uns war, zog sie am Gürtel, der mich und Lenny miteinander verband.
»Du kannst die Krebse nicht zurückholen, Brek«, sagte sie zärtlich. »Aber du kannst dich selbst befreien. Es geht nicht mehr um Lenny. Es geht um dich. Wie lange willst du noch im Wasser warten?«
9
Ich schob den goldenen Schlüssel, den Luas mir gegeben hatte, ins Schloss der gewaltigen Holztür, die in den Gerichtssaal führte. Plötzlich verschwand die Doppeltür mitsamt der Bahnhofshalle, so dass ich mit Luas in einem riesigen Raum stand, der nur durch Energie zusammengehalten wurde. Die Wände waren lichtdurchlässig, wie elektrisch geladen, und müsste ich sie mit einer Farbe beschreiben, dann mit der wie glitzerndes Wasser in einer Kristallkaraffe, die auf einem Silbertablett steht. Dieser Ort war einzigartig, ein Ort, in dem Zeit und Raum miteinander verschmolzen. Ein Ort in der Ewigkeit.
Am anderen Ende des Gerichtssaals verdichtete sich die Energie zu einem dreieckigen, mehrere Stockwerke hohen Monolithen, der offenbar Einsteins Theorie umkehrte. Der Stein war gleichzeitig dunkel und leuchtend, bestand, wie mir schien, aus reinem Saphir und war oben mit einer dreieckigen Öffnung versehen, durch die Licht hereindrang, aber nicht hinaus, so dass dahinter nichts zu erkennen war. Der Boden davor wurde aus einem Halbkreis aus blassem bernsteinfarbenen Licht gebildet, das sich vom Fuß des Monolithen aus ergoss. In der Mitte des Bodens stand ein einfacher Holzstuhl, der von seiner Beschaffenheit und Größe in dieser Umgebung völlig aus dem Rahmen fiel. Hinter dem Stuhl, aber jenseits des Lichtkreises und genau gegenüber des Monolithen, standen drei weitere Stühle. Luas wies mich an, mich auf den mittleren zu setzen, er selbst setzte sich auf den linken, legte die Hände auf seine Knie und schloss die Augen. »Tobias Bowles wird den Fall seines Vaters Gerard vorbringen«, sagte er.
Einen Moment später stand plötzlich jemand anderes an derselben Stelle wie wir zuvor, ein kleiner Junge, vielleicht acht oder neun Jahre alt. In seinen Fingern drehte er einen goldenen Schlüssel, der genauso aussah wie meiner. Der Junge hatte dunkle Haut, und sein Gesicht mit den sanften braunen Augen, die für sein Alter schon zu viel gesehen und verstanden zu haben schienen, ließ auf eine Herkunft aus dem Nahen Osten
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