Was danach geschah
mehr nach Gerechtigkeit als nach etwas anderem. Und als dir deine Freundin aus Kindertagen, Karen Busfield, erzählte, sie sei im Seminar aufgenommen worden, um Priesterin der Episkopalkirche zu werden, warst du verzweifelt, nicht erfreut. Du studiertest damals schon Jura. Erinnerst du dich, wie du sie aufgezogen hast? Du sagtest: ›Wenn dir ein Mädchen mit blauen Flecken sagt, ihr Vater sei schuld daran, was wirst du dann tun? Ihr sagen, sie soll beten und die Sache in Gottes Hand geben? Und wenn sie sagt, sie bete schon zehn Jahre lang jeden Abend, aber die Schläge hören nicht auf, was sagst du dann? Man kann Gottes Hand nicht für Kinder behelligen. Wenn du Menschen vor der Sünde retten willst – nicht nur vor der Sünde, sich und andere Menschen zu hassen, sondern vor der Sünde, den Gott zu hassen, der ihnen das Leben eingehaucht und sie dann verlassen hat –, dann betest du nicht für sie, Karen. Dann gibst du ihnen meine Visitenkarte und sagst ihnen, sie sollen mich anrufen.‹«
Ich starrte Luas an und versuchte zu verstehen, woher er all das wusste.
»Und erinnerst du dich an Karens Antwort?«, fragte Luas weiter. »Sie sagte, du hättest sie nicht ausreden lassen. Sie habe vor, der Luftwaffe beizutreten wie ihr Vater und Militärpfarrerin zu werden. ›Die Luftwaffe ruft keine Anwälte zu Hilfe, wenn sich jemand danebenbenimmt, Brek‹, sagte sie. ›Sie werfen Bomben auf sie. Und das nennt man dann Gerechtigkeit.‹ Und du hast gesagt: ›Sie werden dich auf keinen Fall nehmen, Karen. Sie werden dich durchschauen.‹«
Luas hörte auf zu rauchen.
»Du hast die große Wahrheit des Lebens verstanden, Brek Cuttler«, fuhr er fort. »Du hast verstanden, dass das Streben nach Gerechtigkeit die reinste Form der Religion und das höchste menschliche Ziel ist. Du wurdest eine Jüngerin der Gerechtigkeit. Jetzt ist die Zeit für dich gekommen, deine Belohnung in Empfang zu nehmen. Du wurdest auserwählt, den Eliteanwälten von Schemaja beizutreten, die vor dem Jüngsten Gericht Seelen verteidigen. Ich habe nur Spaß gemacht, als ich dich fragte, ob du dich im Gericht selbst verteidigen könntest. Das weckt immer die Aufmerksamkeit von Neuankömmlingen. Nein, jetzt lautet die einzige Frage, ob du durch diese Tür gehen kannst, wenn jemand anderes von dem abhängig ist, was du sagst oder ungesagt lässt. Wenn du für die Menschheit sprichst, nicht für dich selbst. Doch diese Frage über dich wurde schon vor langer Zeit beantwortet. Meine Aufgabe besteht nicht darin, zu prüfen, ob du geeignet bist, sondern dir den Weg zu zeigen.«
Luas leerte seine Pfeife in einen Aschenbecher an der Wand und zog aus seiner Westentasche einen goldenen Schlüssel, an dem ein funkelnder Davidstern, die Mondsichel des Islam, Figuren von Shiwa und Buddha, das Yin-und-Yang-Zeichen und ein Kruzifix hingen. Diesen Schlüssel reichte er mir. »Das ist deiner. Das ist der Schlüssel zum Gericht.«
Ich weigerte mich, ihn anzunehmen.
»Nimm«, forderte Luas mich auf. »Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt für Angst oder Unentschlossenheit. Du wartest, dass Gott das Böse vernichtet und den Gerechten belohnt, seit du elf Jahre alt warst und diese Jungs vor Gericht gestellt hast, weil sie Flusskrebse getötet hatten. Wie wunderbar! Du wolltest selbst für einen Krebs Gerechtigkeit erkämpfen! Freue dich, Brek Abigail Cuttler! Deine Gebete wurden erhört! Es gibt doch eine Gerechtigkeit! Endlich, dem Herrn sei Dank, Gerechtigkeit!«
8
Hinter dem Haus meiner besten Freundin Karen Busfield, hinter den Aschehaufen aus den alten Kohleöfen und einem kleinen verlassenen Gebäude, glitzerte der breite schöne Fluss, der unter dem Namen Little Juniata River bekannt war. Der Little Juniata fließt aus den Allegheny Mountains nach Norden und reißt die kleinen Bäche und Quellen mit, die die Hügel und Täler mit Leben erfüllen, dann, hinter Tyrone in Pennsylvania, weiter nach Süden, wo die Familie meines Vaters, die Cuttlers, einfache Bauern, herstammen. In Huntingdon fließt der Little Juniata in den großen Juniata River, der nur groß ist, wenn alle zwanzig Jahre ein Orkan darüber hinwegfegt. Ansonsten ist er normal groß, nicht breit, nicht tief und nicht schnell. Der große Juniata River fließt nach Süden, bis er in Clark’s Ferry in der Nähe von Harrisburg in den Susquehanna River mündet, der wiederum als ganzjährig großer Fluss noch weiter südlich in Havre de Grace in Maryland in die Chesapeake Bay fließt. In dem
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