Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Park
Vom Netzwerk:
neben sie.
    »Ich mag es nicht, wenn du so bist«, sagte Hana.
    »Wie denn?«
    »Du starrst mich an.«
    Hana hörte auf, ihre Haare zu bearbeiten, und legte sich das Handtuch auf den Schoß. Nasse Strähnen klebten ihr im Gesicht. Beide Frauen betrachteten sich im Spiegel des Kleiderschranks.
    »Weißt du, dass ich dich liebe?«, fragte Soo-Ja.
    »Sei doch nicht so melodramatisch.«
    »Ich finde es nicht schlimm, dass wir nicht reich sind wie unsere Verwandten hier. Ich muss nicht so ein Leben führen. Jedenfalls solange ich dich habe. Ohne dich hat mein Leben keinen Sinn.«
    »Ich gehe nicht zurück nach Korea.«
    »Was ich denke, ist dir also völlig egal?«
    »Eine Mutter hat die Aufgabe, ihrem Kind ein gutes Leben zu ermöglichen«, sagte Hana ein wenig steif, als wüsste sie, wie altklug sie sich anhörte.
    »Und du meinst, hier bekommst du ein gutes Leben?«
    Hana schaute ihre Mutter an, als wäre die nicht ganz normal. Natürlich wäre sie glücklich in Amerika! Hier lächelten sogar die Leute, die nur noch ein Bein hatten.
    »Du hast Großpapa schon gesagt, dass wir bleiben, also bleiben wir. Und auch wenn du Nein sagst, bleibe ich mit Vater hier«, erklärte Hana.
    »Warum hörst du auf deinen Vater und nicht auf mich?«
    »Weil er Zeit für mich hat. Du hast immer irgendwas anderes zu tun.«
    Soo-Ja ballte die Hände zu Fäusten. Ihre Arme zitterten, und sie musste nach Luft schnappen, während die Emotionen in ihr hochstiegen.
    »Ich muss arbeiten!«, rief Soo-Ja schrill. »Ich arbeite, damit du spielen kannst! Ich arbeite für dich. Für dich.«
    »Mutter, bitte hör auf. Jemand könnte uns hören«, bat Hana.
    »Findest … findest du mich etwa peinlich?«, fragte Soo-Ja, die verzweifelt um die Liebe des Mädchens kämpfte.
    Soo-Ja starrte auf ihr Spiegelbild. Sie hatte nie für sich selbst gelebt, und darin lag sowohl ihr größter Fehler als auch ihr größtes Verdienst. Ihre Selbstlosigkeit hatte sie allerdings nicht aus freien Stücken angenommen; vielmehr war sie ihr von ihrer Familie aufgedrängt worden. Man hatte ihr nicht erlaubt, nach ihrem Glück zu streben, sondern nur, einen tieferen Grund für ihre Qualen zu finden und ihre Enttäuschungen zu verarbeiten. Wie konnte sie das nur ihrer Tochter erklären? Hana schien schon längst in eine andere Welt zu gehören.
    Soo-Ja wandte den Blick vom Spiegel ab und schaute auf den Teppich zu ihren Füßen. Er war hellbraun und so hoch, dass er die Räume zwischen ihren Zehen ausfüllte. Dann sagte sie leise: »Na schön, dann ist die Sache ja entschieden.«
    »Ich weiß, was du denkst. Aber dein Leben ist dein Leben, und mein Leben ist mein Leben«, sagte Hana. »Du hast Fehler gemacht, aber es sind deine eigenen.«
    »Ja, ich weiß«, erwiderte Soo-Ja und zwang sich zu einem Lächeln. »Du hast recht. Vergiss, was ich gesagt habe.«
    »Wenn du hier nicht glücklich bist, kannst du zurückfahren und uns später wieder besuchen«, schlug Hana vor. Für Soo-Ja fühlte sich jedes Wort ihrer Tochter an wie ein Peitschenhieb.
    »Nein, Hana. Ich werde immer da sein, wo du bist. Egal, wie sehr du versuchst, vor mir wegzulaufen, ich werde immer da sein, wo du bist.«
    Soo-Ja dachte an den Brief ihres Vaters. Aber ich werde dich immer finden, egal, wohin du gehst, hatte er geschrieben. Sie hatte nicht geglaubt, diese Worte ihrer eigenen Tochter gegenüber zu wiederholen, und schon gar nicht so bald. Sie war so verblüfft darüber, dass sie Min nicht bemerkte, der still und leise draußen vor der Tür stand und lauschte. Er war wie ein Eindringling, der ins Haus gelangt war und nun fieberhaft überlegte, wie er wieder hinausfinden konnte.
    Es dauerte einige Zeit, bis Soo-Ja eingeschlafen war. Sie war Lärm in der Nacht gewohnt – Gäste, die zur Toilette gingen, Paare, die sich böse Worte an den Kopf warfen – , und die Stille um sie herum fühlte sich beinahe überirdisch an, als würde ein Schamane die Geister der Berge beschwören.
    Mit zweiundzwanzig hatte Soo-Ja davon geträumt, ein Diplomatenjackett überzustreifen und um den ganzen Erdball zu reisen, um Wohlwollen zu verteilen wie Pfefferminzbonbons. Das war die Puppenhausversion ihres Lebens, die Schneekugel, die man im Souvenirladen kaufen konnte. Damals hatte es sie geschmerzt, nicht aus Korea wegzukommen. Jetzt aber wollte sie der zweiundzwanzigjährigen Soo-Ja gerne sagen, wie viel Glück sie hatte, noch etwas Zeit mit ihrem Vater zu verbringen. (Wenn sie damals aus Daegu fortgegangen wäre, hätte

Weitere Kostenlose Bücher