Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
wahren Kunst, die Zila meisterhaft beherrschte. Sie verbanden die Augenbrauen mit einer durchgehenden Linie, die Francesca an ein Porträt von Frida Kahlo erinnerte, und betonten die Augen mit khol und rosa Lidschatten, der farblich zu ihrem Kleid passte. Dann brachten sie mehrere Töpfchen mit einer roten Paste, die Ähnlichkeit mit Siegellack hatte, und verzierten ihre Hände, Stirn und Brust mit filigranen Mustern und kleinen Blumen. »Es lässt sich wieder abwaschen«, flüsterte Zora ihr zu, um sie zu beruhigen. Francesca betrachtete sich im Spiegel, und ihr gefiel nicht, was sie da sah. »Wenn meine Mutter mich so sehen würde!«, schluchzte sie.
»Du bist die schönste Braut, die ich je gesehen habe«, beschwichtigte Zora, während sie ihr das Diadem mit den Brillanten und Saphiren auf den Schleier setzte. »Kamal wird sterben vor Liebe.«
Tatsächlich war dieser fasziniert, als er sie in einem Meer aus Blumen auf einer Sänfte erscheinen sah. Die Diener stellten das Traggestell auf dem Boden ab, und Kamals Großvater, Scheich al-Kassib, der seinen Stamm verlassen hatte, um an der Hochzeit teilzunehmen, trat heran, um ihr die Hand zu reichen und sie zu seinem Enkel zu führen. Der Derwisch sprach seine Worte, und Francesca wiederholte in schlechtem Arabisch, was Zora ihr zuvor beigebracht hatte.
Die Festlichkeiten begannen gegen zwei Uhr mittags und endeten in den Morgenstunden des nächsten Tages. Es waren sehr viele Gäste da, und Francesca, die nur wenige davon kannte, fühlte sich allein und verlassen. An Kamals Hand ließ sie sich durch die Salons und den Park führen, während er ihr seine Verwandten vorstellte. Über das Fehlen seines Bruders Saud sowie dessen Frau und Kindern wurde nicht gesprochen, weil alle um das tiefe Zerwürfnis zwischen den beiden Brüdern wussten. Aber viele erkundigten sich nach Mauricio Dubois, war man doch gewohnt, den Botschafter bei wichtigen Familienfeiern anzutreffen. Mittlerweile war es jedoch in Argentinien zu dem befürchteten Staatsstreich gekommen, und es herrschten Chaos und Verwirrung im Land. In der Folge hatte das Auswärtige Amt Mauricio einbestellt, der sich sogleich auf den Weg nach Buenos Aires gemacht hatte.
Als es dunkel wurde, führte Kamal Francesca in ein ruhiges, abgelegenes Zimmer, wo seit einigen Minuten Marina auf sie wartete. Francesca war zu Tränen gerührt, als sie die Freundin sah, und fiel ihr begeistert um den Hals, weil Marina ihrer eigenen Welt angehörte, dieser Welt, die sie so gut kannte.
»Dein Mann hat mich letzte Woche angerufen und mich eingeladen zu kommen. Den Flug und das Hotel hat er auch bezahlt. Er hat mich gebeten, dir nichts zu sagen, damit es eine Überraschung ist. Dieser Mann liebt dich wirklich, Francesca! Du kannst dich glücklich schätzen, seine Frau zu sein. Du hast mir nie erzählt, dass er ein so gutaussehender, eleganter Mann ist. Diese Augen, mein Gott! Vielleicht kann ich ja einen der Araber hier becircen – einen von denen, die noch übrig sind. Das Mindeste, was ich erwarte, ist, dass er mich entführt und in einer Oase entjungfert.«
Währenddessen unterhielt sich Yussef Zelim, Tante Zilas Mann, mit Kamal und erklärte mit einem Augenzwinkern: »Ich muss schon sagen, du hast dir das schönste Exemplar aus dem Westen geschnappt, das ich je gesehen habe. Und ein bisschen frisches Blut hat noch nie geschadet.«
Es wurde gegessen, getanzt und gesungen. Während einige bei Tisch neue Kräfte sammelten, aßen, tanzten und sangen die anderen weiter – das Lärmen und Treiben hörte nie auf. Fatima kam zu Francesca und führte sie an den Tisch der Matriarchinnen der Familie, an dem auch Juliette saß – eine Außenseiterin wie sie selbst. Doch Juliette erklärte zu ihrer Überraschung, dass sie sich in diesem Kreis sehr wohl fühle. Francesca hingegen fand die alten Frauen äußerst einschüchternd, die alle gleichzeitig auf sie einredeten, ihr Haar und ihr Kleid betasteten, ihre weiße Haut bestaunten und ihr das Diadem abnahmen und wieder aufsetzten. Nach dieser eingehenden Prüfung erklärte Fatima, dass die Frauen sie als neues Familienmitglied akzeptiert hätten.
Schließlich entführte Kamal sie von dem Fest und brachte sie ins Stadtzentrum von Kairo, wo er ein Zimmer im besten Hotel reserviert hatte.
»Deine Tante Zila hat bei sich zu Hause ein Schlafzimmer für unsere Hochzeitsnacht vorbereitet. Sie wird böse auf mich sein, weil sie denkt, dass ich dich überredet habe wegzugehen«, wiedersetzte
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