Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
ein Mann war, der beiden Welten angehörte, dem Westen und dem Orient. Da Antonina die Dienstboten aus dem Haus der Martínez Olazábals eingeladen hatte, mit denen sie befreundet war, ging sie davon aus, dass ihre Arbeitgeber sich keinesfalls dazu herablassen würden, an der kleinen Feier im Crillon teilzunehmen. Aber dann erschienen Celia, Esteban und Enriqueta im Salon und straften ihre Annahme Lügen. Jedes Familienmitglied der Martínez Olazábals hatte andere Beweggründe, an der Feier teilzunehmen: Esteban aus Zuneigung zu Francesca; Celia aus Neugier auf einen Mann, der in Córdoba nicht eben alltäglich war, und Enriqueta wegen der Möglichkeit, ihre heimliche Liebe Alfedo Visconti zu sehen und vielleicht sogar mit ihm zu sprechen.
»Sofía! Deine Mutter ist gerade gekommen. Sie wird dich mit Nando sehen.«
»Das ist mir total egal«, erwiderte das Mädchen, und der Nachdruck, mit dem sie das sagte, überraschte Francesca. »Ich habe ihnen schon gesagt, dass ich vorhabe, ihn zu heiraten.«
»Und wie haben sie reagiert?«
»Natürlich sind sie nicht einverstanden. Meine Mutter hat wie immer damit gedroht, mir den Geldhahn zuzudrehen. Aber das ist mir egal – Nando wird Arbeit finden, und wir werden unser Auskommen haben. Wenn es nötig ist, gehe ich auch arbeiten. Es ist an der Zeit, dass ich aufhöre, an meine Familie zu denken, und eine eigene Familie gründe.«
›Was für ein faszinierender Mann!‹, dachte Celia, als al-Saud sich verbeugte und ihr einen formvollendeten Kuss auf die Hand hauchte. Er schenkte ihr ein verführerisches Lächeln und zeigte dabei perfekte weiße Zähne, die einen schönen Kontrast zur dunklen Haut bildeten. Sie war hypnotisiert von seinen grünen Augen, und für einen kurzen Moment sah sie ihn ganz unverhohlen an, was sie sich sonst nie erlaubte. Er sprach ein ausgezeichnetes, akzent- und fehlerfreies Französisch und besaß eine galante Art, die seine europäische Erziehung verriet. Nach diesem ersten Eindruck überkam Celia der Neid. Ungewohnt ehrlich gestand sie sich ein, dass sie für eine Nacht mit diesem Mann, Muslim hin oder her, sämtliche Prinzipien über Bord werfen würde, die ihr so wichtig waren. Als Francesca ihr widerstrebend ihren Verlobungsring zeigte, verschlug es ihr die Sprache. Er musste ein kleines Vermögen gekostet haben. Stumm bewunderte sie das Couturekostüm, das sie trug, und die beiden ineinander verschlungenen C des Hauses Chanel auf den Jackenknöpfen.
Enriqueta ging unterdessen zu Fredo und grüßte ihn schüchtern. Er behandelte sie wie gewohnt nicht anders als ihre Schwester Sofía und alle anderen Freundinnen von Francesca. Für ihn war sie ein Kind. Enriqueta ließ ihn nicht aus den Augen, beobachtete, wie er plauderte, lachte, Leute begrüßte, studierte seine Mimik und Gestik. Und so bemerkte sie einen Blickwechsel zwischen ihm und Antonina, der sie sprachlos machte. Sie war am Boden zerstört. Eigentlich hatte sie beschlossen, an diesem Abend nicht zu trinken, doch als jetzt ein Kellner mit einem Tablett vorbeikam, nahm sie ein Glas Champagner und flüchtete auf die Toilette.
Kamal warf einen Blick in die Runde. Der Empfang verlief ganz nach seinen Erwartungen. Auch für ihn war der Abend mit Fredos Freunden angenehm gewesen. Francesca wirkte glücklich und zufrieden und ließ sich nicht einmal durch die Anwesenheit der Martínez Olazábals die Laune verderben. Sie war im angeregten Gespräch mit Sofía und Nando.
»Francesca«, unterbrach er ihre Unterhaltung, »ich denke, wir sollten schlafen gehen. Wir reisen morgen sehr früh nach Paris ab.«
»O ja, natürlich!«, pflichtete Sofía bei. »Ihr solltet gehen. Und wir auch.«
»Nein, nein«, widersprach Kamal. »Feiert ihr nur weiter.«
Francesca verabschiedete sich von den wenigen Gästen, die noch da waren. Ihre Mutter und Fredo brachten sie bis zur Treppe.
» Mamma, non piangere, ti prego «, bat sie, als Antonina zu schluchzen begann. » Pensi che sono felice. Ci vediamo domani. « Dann verabschiedete sie sich, als würde sie nicht am nächsten Morgen nach Europa abreisen.
Am nächsten Tag, auf dem Flug nach Paris, fragte Francesca Kamal:
»Kann ich dich um einen Gefallen bitten?«
»Du weißt doch, dass ich dir nichts abschlagen kann.«
»Eigentlich geht es nicht um mich.«
»Es hätte mich auch gewundert, wenn du etwas für dich erbeten hättest. Wenn ich es recht überlege, hast du noch nie etwas für dich verlangt.«
»Es geht um Nando und Sofía«, erklärte
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