Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
anderen, weinerlichen und betrunkenen Aldo passte nicht zu ihren Erinnerungen, vielmehr befleckte und beeinträchtigte sie sie.
Die Tatsache, dass sie bei der Feier des Botschafters fröhlich und gutgelaunt sein musste, half ihr, sich zusammenzunehmen. Das elfenbeinfarbene Satinkleid, das sie trug, erinnerte sie an Marina und den Tag, an dem sie es im Schlussverkauf gekauft hatten. »Du siehst aus wie eine Meerjungfrau«, hatte das Mädchen ohne jeden Anflug von Neid festgestellt und Francescas Figur bewundert. Sie steckte das Haar zu einem tiefsitzenden Knoten auf, um das Dekolleté zu betonen, und obwohl sie Schmuck nicht sonderlich mochte, beschloss sie, die Perlenohrringe zu tragen, die Fredo ihr zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Sie schminkte sich dezent: Wimperntusche, Rouge und Lipgloss, parfümierte sich jedoch großzügig mit ihrem Diorissimo, denn sie mochte den Duft nach Maiglöckchen. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel.
»Darf ich reinkommen?«, fragte Sara und steckte den Kopf durch die Tür.
Francesca stand auf und winkte sie herein. Die Frau trat ein und zog überrascht die Augenbrauen nach oben, als sie sie sah.
»Du bist einfach wunderschön«, sagte sie.
»Danke, Sara.«
»Der Herr Botschafter lässt fragen, ob du runterkommen kannst, die Gäste treffen ein.«
Im Speisezimmer entzündete Kasem – sehr elegant in seiner Galalivree – die Kerzen in den Leuchtern, während Yamile Körbchen mit Pitabrot und Crackern auftrug. Von dem Plattenspieler im großen Salon drang die Stimme von Edith Piaf zu ihr herüber und versetzte sie in Fredos Wohnung zurück, wo sie auf einem uralten Grammophon immer und immer wieder La vie en rose und Non, je ne regrette rien gehört hatten.
Mauricio lehnte in der Verandatür, und gebannt vom Zauber der Nacht, kehrten seine Gedanken an längst vergangene Abende in der Wüste zurück. Damals hatten Kamal und er, zwei zwölfjährige Jungs, sich aus der Oase davongestohlen, wo der Stamm von Scheich al-Kassib sein Lager aufgeschlagen hatte, und waren ein ganzes Stück gelaufen, bis sie hoch oben von einer Düne die Landschaft überblicken konnten. Die endlose goldene Weite, die sie bei Tag auf ihrem Ritt geblendet hatte, erinnerte nun an ein dunkles Meer aus silbrigen, erstarrten Wellen. Sie hatten sich auf einen Teppich gesetzt und sich Geschichten von Geistern und geflügelten Pferden erzählt, während sie sich die Bäuche mit Datteln und Nüssen vollschlugen.
»Sie haben mich rufen lassen?«
Mauricio verschlug es beim Anblick von Francesca im elfenbeinfarbenen Satinkleid, die ihn erwartungsvoll ansah, die Sprache. ›Er will sie für sich haben‹, sagte er sich niedergeschlagen. ›Ich weiß es. Ich kenne ihn.‹
»Ja.« Der Botschafter räusperte sich und ging ihr entgegen. »Sie werden gleich eintreffen.« In diesem Augenblick war das Geräusch eines Motors zu hören.
Kasem trat vor die Villa. Er half einem untersetzten, etwa fünfzigjährigen Mann mit buschigem Schnurrbart und vorstehender Nase und einer sehr attraktiven jungen Frau in einem Abendkleid aus roter Seide mit weißer Federboa und langen Handschuhen aus dem Wagen. Francesca sah an ihrem Kleid aus dem Schlussverkauf herunter, das ihr jetzt wie ein billiger Fummel vorkam.
»Mauricio!«, rief der Mann und stürmte zum Eingang. »Wir haben uns so lange nicht gesehen!«
Während sich die beiden Männer umarmten, trat Francesca, die hinter ihrem Chef stand, zu der jungen Frau und bat sie herein. Mauricio bemerkte seine Unhöflichkeit und führte zu seiner Entschuldigung an, dass er überwältigt sei, nach so vielen Jahren seinen Lieblingsprofessor von der Sorbonne, Gustave Le Bon, wiederzusehen. Der Name kam Francesca bekannt vor, die nun vom Botschafter vorgestellt wurde.
»Doktor Le Bon, darf ich bekannt machen: meine Assistentin, Mademoiselle Francesca de Gecco.«
»Sehr erfreut, Mademoiselle de Gecco. Sie müssen eine intelligente, tüchtige junge Frau sein, wenn Sie für meinen früheren Schüler arbeiten. Und sehr geduldig«, setzte er mit einem Lächeln hinzu. »Das ist meine Tochter Valerie.« Er legte den Arm um das Mädchen. »Erinnerst du dich noch an die kleine Valerie, Mauricio? Tja, mittlerweile ist sie zur Frau herangewachsen.«
»Der Professor lügt nicht«, gab der Botschafter zu. »Das kleine Mädchen, das damals mit wirrem Haar ins Arbeitszimmer ihres Vaters gestürmt kam, die Hände voller Süßigkeiten, ist eine richtige Frau geworden. Herzlich
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