Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
ich dir. Der Botschafter wird keinen Verdacht schöpfen.«
Francesca fühlte sich außerstande, die Unterlagen zu manipulieren. Wenn Mauricio Wind von der Sache bekam, müsste sie kündigen. Sie würde den Antrag seinen Weg gehen lassen.
***
Stunden später lag die Botschaft im Dunkeln. Nur Mauricio arbeitete noch in seinem Büro, als das Telefon in die Stille hinein läutete.
»Ah, Kamal, du bist es.«
»Man sagte mir, dass du mich sprechen wolltest.«
»Ja. Es geht um … Nun ja, um meine Sekretärin.«
»Was ist mit ihr?«, fragte Kamal besorgt, etwas, das Mauricio nicht von ihm kannte.
»Nichts Schlimmes, aber ich glaube, du bist nicht der Einzige, der Interesse daran hat, sie zu erobern.«
»Drück dich deutlicher aus.«
»Heute habe ich ihr den Einreiseantrag von einem gewissen … warte, ich hab’s mir aufgeschrieben: von einem gewissen Aldo Martínez Olazábal gegeben. Als Francesca die Mappe aufschlug, geriet sie völlig aus der Fassung. Sie wurde kreidebleich, und wir mussten ihr Riechsalz und Alkohol geben. Sie behauptete, sie habe einfach nur niedrigen Blutdruck, aber ich hatte den Eindruck, dass etwas an den Unterlagen sie in Unruhe versetzte. Ich habe mir die Angaben des Antragstellers genau angesehen. Es handelt sich um einen Neunundzwanzigjährigen aus Córdoba. Francesca stammt ebenfalls aus Córdoba, und ich bin mir so gut wie sicher, dass sie ihn kennt. Da ist was faul. Weißt du, was? Ich könnte wetten, dass dieser Kerl ihretwegen kommt.«
Es herrschte Schweigen in der Leitung, und Mauricio dachte, die Verbindung sei unterbrochen worden.
»Schick mir gleich morgen früh diese Akte«, sagte Kamal plötzlich. »Ich werde mich persönlich darum kümmern.«
9. Kapitel
Francesca ließ ihren Blick durch das Speisezimmer schweifen, wo am Abend das Essen stattfinden sollte. In der Mitte stand der Mahagonitisch mit den weißen Tischdecken, den silbernen Kerzenleuchtern und einem Blumengesteck. Sie bedauerte, dass es nicht mehr Blumen gab – lediglich ein Dutzend weißer Rosen auf der Anrichte in der Halle und Jasminblütenzweige auf dem Tisch. Sie hätte gerne auch die Vasen im Salon und im Speisezimmer gefüllt, aber in dieser Wüstengegend waren Blumen nur schwer zu bekommen.
Niedergeschlagen und lustlos ging sie langsam die Treppe hinauf, ohne sich darum zu kümmern, dass die Gäste gleich eintreffen würden und sie noch nicht fertig war, um sie zu empfangen. Sie überlegte, sich zu entschuldigen – Kopfschmerzen oder Magenschmerzen, irgendetwas, anstatt diesen Abend mit Unbekannten ertragen zu müssen. Wo sie sich doch nur ins Bett legen wollte und schlafen, die Augen schließen und vergessen, dass ihr Leben komplett aus den Fugen geraten war. Aber im Schlafzimmer angekommen, nahm sie rasch ein Bad und zog sich um. Sie wollte nicht so unhöflich sein und den Botschafter derart brüskieren.
Sie ging zum Nachttisch und nahm zum wiederholten Male Sofías Brief zur Hand, den sie am Morgen bekommen hatte.
In seiner Verzweiflung hat Aldo das Schloss meines Sekretärs aufgebrochen und deine Briefe gelesen, von den ersten, die du mir aus Genf geschickt hast, bis zum letzten, der schon aus Riad kam. Es tut mir furchtbar leid. Es ist die Hölle, Francesca. Aldo läuft wie ein Wahnsinniger durchs Haus und sucht nach dir. Er hat angefangen zu trinken und kommt jede Nacht sternhagelvoll nach Hause. Dolores hat sich im Gästezimmer verschanzt und spricht fast nicht mehr mit ihm. Manchmal höre ich sie heftig streiten. Was soll nur aus meinem armen Bruder werden? Nachdem er jetzt weiß, wo du bist, sagt er, dass er dich suchen wird, und wenn er bis zum Nordpol fahren muss.
Zum Glück war ihr Chef nicht mehr auf Aldos Akte zu sprechen gekommen, aber die Neugier nagte an ihr. Was war aus der Mappe geworden? Sosehr sie auch im Büro des Botschafters danach gesucht hatte, sie hatte sie nicht finden können. Wer würde sich um den Antrag kümmern? Malik vielleicht. Der ganzen Mutmaßungen müde, legte sie Sofías Brief in den Nachttisch zurück. Sich betrinken war alles, was Aldo einfiel? Würde er denn nie den Stier bei den Hörnern packen?, fragte sie sich, und eine verwirrende Mischung aus Mitleid und Wut bemächtigte sich ihrer. Das Bild des sanften, romantischen Jungen, der sie am Swimmingpool mit Küssen und Versprechungen überschüttet hatte, verlor sich in der Vergangenheit, und Francesca empfand den Verlust noch schmerzlicher, so als wäre er tot. Die ungeschönte Schilderung dieses
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