Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
können.
»Ganz und gar nicht«, widersprach Valerie, die die Bemerkung gehört hatte. »Ich finde die arabische Tracht viel reizvoller und verführerischer als die langweiligen westlichen Anzüge.«
Kamal lächelte ihr zu und neigte höflich den Kopf. In Francesca stiegen Wut und ein unbegreifliches Gefühl von Rivalität auf. Verstimmt nahm sie links von Mauricio Platz, Kamal gegenüber, der angeregt mit Valerie plauderte. Diese erzählte ihm gerade, dass sie dabei sei, Arabisch zu lernen, und Kamal setzte die Unterhaltung in seiner Muttersprache fort. Valerie versuchte, ihm zu antworten, und er half ihr, die richtigen Worte zu finden.
Francesca läutete die Glocke, und Sara und Yamile trugen Tabletts und Platten herein. Kasem servierte alkoholfreie Getränke, wie es die strengen Regeln des Koran verlangten. Sie aßen und tranken mit Genuss; Yamile war eine hervorragende Köchin, die sich mit den landestypischen Speisen auskannte. Francescas Nervosität legte sich, als sie sah, dass das Essen nach Plan verlief. Sie versuchte, sich zu entspannen und den Gesprächen zu folgen, aber dass Kamal al-Saud ihr genau gegenübersaß, verunsicherte sie und zwang sie, seinen Blicken auszuweichen.
Kamal hörte zu, aß und beobachtete. Er mochte Francescas Parfüm, das hin und wieder zu ihm herüberwehte; er mochte ihr Haar und wie sie es trug. Er mochte ihre großen schwarzen Augen und ihre vollen, schimmernden Lippen. Ihr rundes Gesicht, ihre feingliedrigen Hände und das leuchtende Weiß ihrer Haut, das sich von ihren Brauen und ihrem Haar abhob. »Sie ist ein junges Mädchen, gerade mal einundzwanzig.« Aber dieses junge Mädchen von gerade mal einundzwanzig gefiel ihm außerordentlich gut. Vielleicht hatte Mauricio recht und er sollte sie in Ruhe lassen. Oder wollte Mauricio sie für sich? Er sah unauffällig zu ihm herüber und stellte fest, dass auch dieser sie verzaubert betrachtete. Würde er nach all den Jahren mit Mauricio aneinandergeraten, und das wegen einer Frau, eines jungen Mädchens?
Er begehrte Francesca, und er nahm sich immer, was er wollte. In ihren Augen war er wahrscheinlich ein alter Mann, aber das war ihm egal. Valerie wäre mit ihren fast dreißig Jahren und ihrer unverhohlen frivolen Art der perfekte Typ Frau für eine leichte, flüchtige Eroberung. Außerdem wirkte sie willig und hatte ihn die ganze Zeit provoziert. Aber es war dieses junge Mädchen, das er für sich haben wollte.
»Wann waren Sie das letzte Mal in Paris, Monsieur Méchin?«, fragte Valerie den Mann, den alle Jacques nannten.
»Im Juli war ich zu Besuch bei meiner Schwester und meinem Neffen, aber nicht sehr lange. Kamal und ich mussten noch in andere Städte reisen und sind nur zwei Wochen geblieben. Ich versichere Ihnen, nachdem ich so viele Jahre nicht dort war, fand ich es schöner denn je. Kennen Sie Paris, Mademoiselle?«, fragte er Francesca, die überrascht zusammenzuckte.
»Nur von der Durchreise nach Genf«, antwortete sie so selbstbewusst wie möglich. »Aber diejenigen, die das Glück hatten, dort gewesen zu sein, sagten mir, dass es eine der schönsten Städte der Welt sei.«
»Zurzeit ist ja Genf en vogue «, bemerkte Valerie.
»Oh, da kennt Francesca sich aus!«, rief Mauricio.
Kamals Gesichtszüge verhärteten sich, und er runzelte die Stirn. Nur er, der Mauricio so gut kannte, merkte, dass sich dieser entgegen seiner sonst so zurückhaltenden, ruhigen Art wie ein verliebter Teenager aufführte.
»Ach ja?«, fragte Jacques interessiert.
»Bevor ich nach Riad kam, habe ich fünf Monate für das dortige argentinische Konsulat gearbeitet. Ja, man könnte schon sagen, dass ich die Stadt recht gut kenne. Ich habe sogar …«
»Sie müssten Genf doch auch kennen«, unterbrach Valerie und wandte sich an Kamal. »Wegen der OPEC, meine ich.«
»Lasst uns nicht über die OPEC sprechen!«, bat Le Bon. »Ich bin gar nicht begeistert von dieser Idee deines Bruders, Kamal.«
»Dahinter steckt weniger Saud selbst als sein Minister Tariki«, warf Ahmed ein, der intellektuell aussehende junge Mann.
»Aber ohne Sauds Einverständnis hätte Tariki das niemals geschafft«, entgegnete Le Bon. »Trotz seines Einflusses in der Regierung ist er nun mal nur Minister und Saud der König. Auch Venezuela ist sehr angetan von der Idee eines Kartells.« Er schüttelte missbilligend den Kopf und setzte hinzu: »Pérez Alfonzo sagte, die OPEC sei das mächtigste Instrument, das der Dritten Welt je zur Verfügung gestanden habe. Vor
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