Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
möchte sie begrüßen.«
»Du bist verrückt«, entgegnete das Mädchen. »Wenn Mama sie hier sieht, hetzt sie die Hunde auf sie. Nein, komm bloß nicht auf die Idee, sie rufen zu lassen.«
Angesichts von Aldos erstauntem Blick fügte Sofía hinzu: »Sie will nicht, dass wir befreundet sind. Wenn sie wüsste, dass wir seit fünfzehn Jahren Freundinnen sind, würde sie auf der Stelle in Ohnmacht fallen!«
Celia unterbrach die Unterhaltung mit Doña Carmen, um ihrer zukünftigen Schwiegertochter ein Kompliment zu machen und Aldo gutgemeinte Ratschläge zu geben. Auf den Vorschlag der Gastgeberin hin begaben sich alle auf ihre Zimmer, um sich für das Abendessen zurechtzumachen, das in einer Stunde serviert würde. Aldo trödelte auf der Veranda herum und sah der Gestalt hinterher, die durch den Laubengang zum Küchentrakt ging. Er hatte Glück, denn irgendjemand machte die Lampe am Ende des Weges an, und er konnte sehen, dass sie groß war und eine schlanke Figur hatte.
»Was für schöne Haare!«, dachte er.
***
Als Francesca in die Küche kam, war ihre Mutter gerade dabei, gemeinsam mit drei Küchenhilfen die raffinierten Gerichte zuzubereiten, die Señora Celia angesichts der wichtigen Gäste bestellt hatte. Die Jahre, der Kummer und die harte Arbeit hatten Antoninas jugendlich-schlanker Gestalt und der Schönheit ihrer sizilianischen Gesichtszüge nichts anhaben können.
»Endlich lässt du dich mal blicken!«, schimpfte sie, als sie ihre Tochter im Türrahmen stehen sah.
Bevor Francesca etwas entgegnen konnte, wies ihre Mutter die Hausmädchen an, den Tisch im Speisezimmer mit dem englischen Porzellan, den Silberleuchtern, dem böhmischen Kristall und der weißen Spitzentischdecke zu decken. Die Mädchen gingen hinaus, wobei sie sich angeregt über die Verlobte des jungen Herrn Aldo unterhielten.
»Entschuldige, Mamma, ich habe mich bei Jacinta und Cívico aufgehalten, und dann war ich noch bei Rex.«
Die Mutter wollte ihr Vorhaltungen machen, weil sie das Pferd von Fräulein Enriqueta ritt, ließ es aber bleiben, weil sie wusste, dass es nichts nützen würde. Francesca machte ohnehin immer, was sie wollte. Sie warf ihr einen kurzen Blick zu und lächelte stolz, als sie in ihren Augen die unerschütterliche, unbeugsame Art des Vaters entdeckte.
»Señor Esteban ist in die Stadt gefahren. Vorher hat er sich bei mir nach Onofrios Unfall erkundigt«, erzählte Antonina. »Hat Rosalía dir nicht gesagt, dass du wegen Onofrio den Mund halten sollst, damit der Herr sich keine Sorgen macht?«
Antonina funkelte ihre Tochter wütend an, die ihr ohne jedes Anzeichen von Reue gegenüberstand. Ich hätte Francesca das mit Señor Esteban und Rosalía nie erzählen dürfen , sagte sie sich, obwohl sie sicher war, dass ihre Tochter niemals ein Wort darüber verlieren würde. Francesca schnupperte an den Töpfen, probierte die Götterspeise und tunkte den Finger in den Pudding, bevor sie sich verteidigte.
»Er soll sich ruhig kümmern«, sagte sie. »Außerdem wollte ich ihn von der Koppel weglocken, um mit Don Cívico sprechen und Rex reiten zu können. Wenn du sein Gesicht gesehen hättest, Mamma, als ich ihm sagte, dass Onofrio beinahe vom Dach gefallen ist. Er hat dem Pferd die Sporen gegeben und ist wie von Sinnen davongeprescht.«
Als Francesca auf ihr Zimmer ging, um sich umzuziehen, wanderten Antoninas Gedanken zehn Jahre zurück. Hier, in der Küche der Martínez Olizábals, hatten damals ihre beste Freundin Rosalía und der Patrón gestanden und sich geküsst, dass es ihr die Sprache verschlug. Antonina hatte sich in der Waschküche versteckt und abgewartet, bis der Herr gegangen war. Als sie wieder in die Küche kam, sah sie, wie Rosalía mit einem glückseligen Lächeln die Schürze glattstrich und das zerwühlte Haar richtete. Antonina gab ihr mit einem Blick zu verstehen, dass sie Bescheid wusste. Rosalía ließ sich verlegen auf einen Stuhl sinken, schlug die Hände vors Gesicht und brachte unter Schluchzen hervor, dass sie sie jetzt bestimmt für ein dahergelaufenes Flittchen halte. Antonina hatte Mühe, sie zu beruhigen, und bat sie schließlich, ihr alles zu erzählen.
Rosalía Bazán war eine schöne Mestizin aus Traslasierra mit tiefgründigen braunen Augen, schwerem, dunklem Haar und verführerischen Rundungen. Sie hatte den Rancho der Familie verlassen, um einem Leben zu entfliehen, das eigentlich kein Leben war. In Córdoba fing sie als Bedienung in einer zwielichtigen Kneipe an, wo jene
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