Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
Sofía nach Córdoba zurück, und schon bei der ersten Umarmung wusste Francesca, dass sie innerlich gebrochen war. Schweigend saßen sie in der Dachkammer, die den beiden Freundinnen seit Kindertagen als Versteck diente, und weinten. Sie weinten um die verlorene Liebe, aus quälenden Schuldgefühlen, um das Kind, das es nie geben würde, und wegen so viel verlogener Scheinheiligkeit.
»Mein Baby ist tot zur Welt gekommen, Francesca. Keiner hat es gewollt, und so wollte es auch nicht leben.«
Francesca wünschte sich, sie hätte niemals erfahren, dass das Kind in Wirklichkeit – zu einem Bündel verschnürt – lebend aus dem Haus in der Nähe von Paris weggeschafft worden war, wo Sofía ihre Schwangerschaft verbracht hatte, und einem Waisenhaus übergeben wurde, wo man es seit Tagen erwartete. Esteban hätte nämlich niemals einer Abtreibung zugestimmt, wie er Rosalía gestand. »Es ist nicht rechtens, dass man eine Sünde mit einer anderen aus der Welt schafft«, erklärte er.
Dieses Wissen belastete Francesca noch mehr als die Schuldgefühle wegen ihres schlechten Ratschlags, sich an die Mutter zu wenden. Tagelang überlegte sie, ob sie ihrer Freundin die Wahrheit sagen sollte, aber Sofías abwesender Blick, ihre brüchige Stimme und ihre unaufhörlich zitternden Hände machten ihr schließlich klar, dass sie ihr damit in ihrer geschwächten Verfassung noch mehr schaden würde. Und so schwieg sie, ohne zu wissen, ob sie richtig handelte.
***
Francesca ging durch den Laubengang in die Küche zurück, wo ihre Mutter sie anwies, sich die Servierschürze umzubinden. Widerstrebend tat sie wie geheißen, denn sie hatte keine Lust, bei Tisch zu bedienen.
»Warum ist Paloma nicht geblieben, um zu helfen? Ich bin nicht in der Stimmung für Enriquetas Unverschämtheiten. Ich sag’s dir, ich werde ihr die Suppe über den Kopf schütten.«
Antonina verkniff sich ein Grinsen und versuchte, tadelnd zu schauen. Dann versprach sie Francesca, dass sie nicht im Speisezimmer bedienen und das Fräulein Enriqueta ertragen müsse; sie sollte nur im Vorraum die Teller anrichten.
Beim Abendessen nickte Aldo Antonina freundlich zu. Dann beteuerte er, nicht einmal in den besten Pariser Restaurants so gut gegessen zu haben. Die Köchin, die genau wusste, dass sich die Hausherrin über das höfliche Lob des Jungen ärgerte, nickte nur mit dem Kopf, ohne dabei hochzublicken.
»Was hat Señor Aldo zu dir gesagt?«, wollte Francesca wissen.
»Dass es ihm schmeckt. Er ist sehr nett.«
Francesca lugte ins Speisezimmer, und für einen kurzen Moment traf sich ihr Blick mit dem des jungen Herrn. Verlegen zuckte sie zurück und verbarg sich hinter dem Türrahmen. Dieser flüchtige, unbedeutende Moment hatte sie unerklärlicherweise sehr berührt.
***
Später nahmen die Familie und ihre Gäste auf der Veranda den traditionellen Cappuccino ein. Selbst Celia redete nicht viel; die Müdigkeit und der stille Abend auf dem Lande hatten sie schweigsam werden lassen. Sofía war die Erste, die eine gute Nacht wünschte und dann im Dienstbotentrakt verschwand, ohne dem vernichtenden Blick ihrer Mutter Beachtung zu schenken. Etwas später brach auch Celia auf und ermunterte Enriqueta und Señora Carmen, es ihr gleichzutun.
Aldo und Dolores blieben allein zurück. Sie rückte ihren Sessel heran, nahm die Hand ihres Verlobten und flüsterte ihm zu, wie gut er aussehe. Aldo lächelte gezwungen und gab das Kompliment zurück. Keine Frage, mit ihrem goldblonden Haar und den blass schimmernden Wangen war Dolores eine Schönheit, die mehr als einem den Atem verschlug. Aber dieses dunkle Augenpaar, in das er während des Abendessens geblickt hatte, machte Aldo noch nachdenklicher und stiller als sonst. Schließlich gab Dolores sichtlich entnervt auf, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch davon bekam ihr Verlobter gar nichts mit, weil er immer noch mit verlorenem Blick in den endlosen Garten hinaussah.
»Lass uns zu Bett gehen, Liebling«, schlug Aldo schließlich vor. »Ich bin müde. Es macht dir doch nichts aus, oder?«
»Wenn du es wünschst …«
Beseelt von dem Wunsch, in ihrem Verlobten die gleiche Leidenschaft zu wecken, die sie für ihn empfand, hatte sich Dolores von dem Besuch auf dem Land viel versprochen. Sie träumte von sternklaren Nächten, Ausritten an unberührte Orte und den rauen Sitten der Gauchos, die sie insgeheim erregend fand. Aber es war offensichtlich, dass Aldo nicht empfänglich für dergleichen war. Er stand auf und
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