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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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bestimmt dieser Fehler bis heute unser Denken über Verhütung.
    John Rock hielt die Pille für ein »natürliches« Verhütungsmittel. Damit meinte er nicht, dass sie sich natürlich anfühlte, denn das tat sie für viele Frauen nicht, vor allem nicht in den Anfangsjahren, als die Hormone um ein Vielfaches höher dosiert waren als heute. Er meinte damit, dass sie auf natürliche Weise funktionierte. Frauen können nur in einem bestimmten Zeitraum innerhalb des Monatszyklus schwanger werden, da ihr Körper nach dem Eisprung ein Hormon namens Progesteron ausschüttet. Das Sexualhormon Progesteron bereitet den Uterus auf die Einnistung der Eizelle vor und verhindert, dass der Eierstock weitere Eizellen freisetzt. Es fördert die Schwangerschaft. »Bei einer gesunden Frau unterdrückt das Progesteron den Eisprung und schafft die ›sichere‹ Phase vor und nach der Menstruation«, schrieb Rock. Wird eine Frau schwanger, produziert ihr Körper aus demselben Grund Progesteron, um zu verhindern, dass eine weitere Eizelle freigesetzt wird und die Schwangerschaft gefährdet. Progesteron ist also das Verhütungsmittel der Natur. Und was war die Pille? Progesteron in Tablettenform. Wenn eine Frau die Pille einnahm, dann erhielt sie das Hormon natürlich nicht in einem plötzlichen Schub nach dem Eisprung und nur zu einem bestimmten Zeitpunkt des Monatszyklus. Es wurde vielmehr in einer konstanten Dosis verabreicht, um den Eisprung dauerhaft zu unterbinden. Frauen erhielten mit der Pille zusätzlich eine Dosis Östrogen, ein Hormon, das die Gebärmutterschleimhaut erhält und - wie wir inzwischen wissen - auch zum Erhalt verschiedener Gewebe beiträgt. Doch für Rock war das Timing und die Kombination der Hormone nicht die Frage. Das Entscheidende war, dass die Pille die Menge der üblicherweise im Körper vorhandenen Hormone verdoppelte. In dieser Natürlichkeit erkannte er eine große theologische Bedeutung.
    Im Jahr 1951 hatte nämlich Papst Pius XII. die Kalendermethode für Katholiken zugelassen, weil sie seiner Ansicht nach eine natürliche Art der Familienplanung darstellte. Anders als Spermizide tötete diese Verhütungsmethode keine Spermien, anders als das Diaphragma verhinderte sie den normalen Prozess der Fortpflanzung nicht, und anders als die Sterilisierung stellte sie keine Organverstümmelung dar. Rock wusste alles über die Kalendermethode. In den dreißiger Jahren hatte er in Brookline, Massachusetts, die erste Klinik des Landes eröffnet, in der Katholiken über die Verwendung natürlicher Verhütungsmittel informiert wurden. Wie funktionierte die Kalendermethode? Indem sie den Geschlechtsverkehr auf die sicheren Tage begrenzte, in denen der Körper Progesteron ausschüttete. Und wie funktionierte die Pille? Indem sie mithilfe des Progesterons die sicheren Tage auf den ganzen Monat ausweitete. Sie verstümmelte keine Reproduktionsorgane und störte keine natürlichen Prozesse. Daher, so schrieb Rock, könnte orale Verhütung »als eine ›von der Pille herbeigeführte sichere Periode‹ gekennzeichnet werden, mit denselben moralischen Implikationen« wie die Kalendermethode. Laut Rock war die Pille nicht mehr als eine »Ergänzung der Natur«.
    Im Jahr 1958 stimmte der Papst einer Pille für Katholiken zu, vorausgesetzt, der Verhütungseffekt sei »indirekt«, das heißt, solange sie als Medikament gegen schmerzhafte Regelblutungen oder Erkrankungen der Eierstöcke zum Einsatz kam. Diese Entscheidung bestärkte Rock weiter. Seine Pille konnte über kurze Zeiträume eingesetzt werden, um den Zyklus von Frauen mit unregelmäßigen Monatsblutungen zu regulieren. Da eine regelmäßige Periode die Voraussetzung für den Erfolg der Kalendermethode war, und da die Kalendermethode von der Kirche gestattet worden war, müssten Frauen mit unregelmäßigem Zyklus doch die Pille einnehmen dürfen, um die Kalendermethode anwenden zu können. Und wenn dem so war, dann müsste man die Logik doch noch einen Schritt weitertreiben können. In seinem Buch Contraception (Verhütung) stellte Richter John T. Noonan die Position der katholischen Kirche zur Geburtenkontrolle dar:
    Wenn es zulässig war, den Eisprung zu unterdrücken, um die erforderliche Regelmäßigkeit für einen unfruchtbaren Geschlechtsverkehr herzustellen, warum sollte es dann nicht zulässig sein, den Eisprung ohne Bezugnahme auf die Regelmäßigkeit zu unterdrücken? Wenn die Schwangerschaft durch eine Kombination aus Pille und Kalendermethode verhütet

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