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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Verborgenen.
    Auch L’Oreal hat sich verändert. Meredith Baxter Birney sagte »Weil ich es mir wert bin« mit der gebührenden Ernsthaftigkeit. Als Cybill Shepherd in den achtziger Jahren die Rolle übernahm, klang es locker und ganz im Einklang mit dem Materialismus der Zeit. Und in den Neunzigern bekam der Spot mit Heather Locklear eine sinnliche und warme Note. »New Preference von L’Oreal«, sagt sie in einem der Spots. »Gib’s weiter. Du bist es wert.« Das »Weil«, das Ilon Spechts Satz Gewicht gab, ist verschwunden. Das starke »Ich« musste einem »Du« Platz machen. Die Werbekampagnen von Clairol und L’Oreal haben sich einander angenähert. Nach Auskunft des Marktforschungsunternehmens Spectra haben Preference und Nice’n Easy etwa gleich viele Kundinnen unter Frauen, die zwischen 50 000 und 75 000 Dollar im Jahr verdienen, religiöse Radiosender hören, in einer Mietwohnung leben, den Weather Channel sehen, mehr als sechs Bücher pro Jahr kaufen, Footballfans sind oder einer Gewerkschaft angehören.
    Trotzdem wirkt das Erbe von Ilon Specht und von Shirley Polykoff bis heute nach, denn der Unterschied zwischen beiden Marken ist nach wie vor erkennbar. Es gibt zwar keine Clairol-Frauen und L’Oreal-Frauen. Doch der Unterschied ist da, nur subtiler. Schon Herzog wusste, dass wir uns bei der Schaffung unserer Selbstwahrnehmung kleine Bruchstücke und Fragmente, Ideen und Sätze, Rituale und Produkte aus unserer Umwelt borgen - gewissermaßen kulturelle Identitäten aus dem Supermarktregal, die unsere Identität subtil, aber spürbar mitgestalten. Unser Glaube spielt dabei eine Rolle, genau wie die Musik, die wir hören, das Essen, das wir zu uns nehmen - und die Marke unseres Haarfärbemittels. Carol Hamilton, Leiterin der Marketingabteilung von L’Oreal, behauptet, sie könne in einer Fokusgruppe die L’Oreal- sofort von den Clairol-Kundinnen unterscheiden: »Die L’Oreal-Kundin strahlt mehr Selbstbewusstsein aus, und sie sieht in der Regel besser aus. Nicht nur wegen der Haarfarbe, sondern sie verwendet einfach ein bisschen mehr Zeit auf ihr Make-up und ihre Frisur. Sie ist ein bisschen modischer gekleidet. Ganz eindeutig, ich sehe den Unterschied sofort.« Jeanne Matson, Hamiltons Gegenüber bei Clairol, kann dies für sich bestätigen: »Natürlich, kein Zweifel. Die Clairol-Kundin steht eher für das amerikanische Schönheitsideal, sie ist natürlicher. Es geht eher um das Schönsein für mich als um das Schönsein für die Umwelt. L’Oreal-Kundinnen neigen zu mehr Distanz. Clairol-Kundinnen haben eine gewisse Wärme. Sie tauschen sich untereinander mehr aus. Sie sagen zum Beispiel: ›Ich benutze Farbton 101 ‹ und jemand anders sagt: ›Ach, genau wie ich‹. Es gibt ein Miteinander.«
    Das sind nicht unbedingt die Markenpersönlichkeiten, wie sie Polykoff und Specht konzipiert hatten, denn wir leben nicht mehr im Jahr 1956 oder 1973. Polykoffs Künstlichkeit hat sich abgeschwächt, Spechts Ärger ist dem Glamour gewichen. Von der ursprünglichen Melodie sind nur noch ein paar Noten geblieben. Doch das reicht aus, um zu verhindern, dass »Weil ich es mir wert bin« mit »Tut sie’s oder tut sie’s nicht« verwechselt wird. Specht sagt: »Ich wollte damit sagen, ich weiß, dass ihr nicht glaubt, dass ich es wert bin. Denn das war genau das Problem mit den Typen im Raum. Die wollten eine Frau nehmen und sie zum Objekt machen. Ich war in der Defensive und wütend. Ich habe mir gedacht, ich zeig’s euch. Versucht nicht, mir zu sagen, was ich bin. Ihr habt mir Generationen lang gesagt, was ich bin.« Und als sie sagt, »ich zeig’s euch«, hebt sie den Mittelfinger der rechten Hand. Zu dieser Geste wäre Shirley Polykoff nie imstande gewesen. Sie freute sich zu sehr über die Möglichkeiten, die Amerika ihr bot, sich selbst zu erfinden - es war ein Land, in dem eine Frau sich die Haare färben und danach mit dem Ring am Finger am Strand liegen konnte. Bei ihrer Abschiedsfeier im Jahr 1973 erinnerte Polykoff die versammelten Manager von Clairol und von Foote, Cone & Bel- ding an die Berge von Zuschriften, die sie nach der ersten Werbekampagne erhalten hatte: »Erinnert ihr euch an das Mädchen, das seine Flitterwochen auf den Bermudas verbracht hat, weil es sich die Haare gefärbt hat?«
    Natürlich erinnerten sich alle.
    »Nun«, sagte sie, vielleicht mit einem süßen Gefühl der Rache. »Das habe ich geschrieben.«
    22. März 1999

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