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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Problemen sind, für die sich die Leute selbst die Schuld geben. In der Werbung wurde Alka-Seltzer damals vor allem als Mittel gegen Völlegefühl präsentiert, und an dem ist man selbst schuld. Kopfschmerzen sind aber eine andere Sache. Die kommen von außen.« Das war eine klassische psychologische Erkenntnis und zeigte, dass die Kunden von Alka-Seltzer in zwei scheinbar nicht kompatible Lager fielen - Täter und Opfer - und dass das Unternehmen eine dieser Gruppen auf Kosten der anderen umworben hatte. Mehr noch, diese Erkenntnis ließ vermuten, dass Werber mit der richtigen Wortwahl das psychologische Dilemma lösen konnten. Herzog gestattete sich ein kleines Lächeln. »Also habe ich gesagt, es wäre doch schön, wenn man ein Wort finden könnte, das beide Elemente zusammenbringt. Die Texter haben ›die Blahs‹ erfunden.« Herzog wiederholt das Wort, die Blahs, weil es so schön ist. »Die Blahs waren weder das eine noch das andere - weder Kopf noch Bauch. Sie waren beides.«
6.
    Dass Haushaltsprodukte Teil unseres psychischen Mobiliars sein sollen, ist eine radikale Vorstellung. Wenn wir erzählen wollen, wie wir zu dem geworden sind, was wir sind, neigen wir dazu, der Philosophie gegenüber der Physiologie den Vorrang zu geben und der Kunst gegenüber dem Kommerz. Wenn wir eine Liste der Helden der sechziger Jahre aufstellen sollten, dann würden uns vermutlich zuerst Musiker, Dichter, Bürgerrechtler und Sportler einfallen. Doch Herzogs Erkenntnisse lassen vermuten, dass diese Liste unvollständig ist. Was ist beispielsweise mit Vidal Sassoon? Er schenkte der Welt zur gleichen Zeit den Pilzkopf und seine geometrischen Haarschnitte. In der alten »Kosmologie der Kosmetologie«, so McCracken, »war die Kundin nur ein Sockel, die Trägerin des Schnitts«. Doch Sassoon individualisierte den Haarschnitt und befreite das weibliche Haar von den Frisuren der Zeit, den »absurden Rokoko-Rüschchen, die ihre Gestalt durch Dauerwellen erhielten, ihre Form durch Wickler und ihre Festigkeit durch Sprays«, so McCracken. Die Gründe, aus denen wir Sassoons Revolution als unwichtig abtun - dass er nur einen Haarschnitt verkaufte, dass dieser nur eine halbe Stunde Zeit in Anspruch nahm, dass er nur unser Äußeres veränderte und dass man spätestens in einem Monat wieder einen neuen brauchte -, sind aus Herzogs Sicht genau die Gründe, die ihn so wichtig machen. Wenn eine Revolution nicht erlebbar, greifbar und wiederholbar ist, wie kann es dann eine Revolution sein?
    »Weil ich es mir wert bin« und »Tut sie’s oder tut sie’s nicht?« waren deshalb so stark, weil es sich um Werbung handelte, denn Werbung ist mit Produkten verknüpft, und Produkte bieten etwas, das Lieder, Gedichte, politische Bewegungen und radikale Ideologien nicht bieten: ein unmittelbares und erschwingliches Instrument der Veränderung. »In den ersten Jahren der ›Weil ich es mir wert bin‹-Kampagne haben wir festgestellt, dass wir einen unerwartet großen Anteil der Neukundinnen bekommen haben - Frauen, die zum ersten Mal ihr Haar gefärbt haben«, berichtete Sennott. »Innerhalb dieser Gruppe waren es vor allem Frauen, die Veränderungen durchmachten, in der Regel eine Scheidung. Wir haben viel mehr geschiedene Frauen bekommen als Clairol. Ihre Kinder waren aus dem Haus, irgendetwas war passiert, und sie haben sich neu erfunden.« Sie fühlten sich anders, und Ilon Specht gab ihnen das Mittel, um anders auszusehen. Wissen wir wirklich, was zuerst kam, und wie sich beides auseinanderhalten lässt? Sie veränderten ihr Leben und ihr Haar. Es war nicht das eine oder das andere. Es war beides.
7.
    Mitte der neunziger Jahre wurde Julia Louis-Dreyfus, besser bekannt als Elaine aus Seinfeld, das Model für Nice’n Easy von Clairol. Ganz in der Clairol-Tradition war sie das Mädchen von nebenan, eine Art postmoderne Doris Day. Doch die Werbespots hätten sich kaum radikaler von der ursprünglichen Polykoff-Kampagne für Miss Clairol unterscheiden können. In einem der besten Spots sitzt Louis-Dreyfus in einem Linienbus und sagt zu der dunkelhaarigen Frau vor ihr: »Wissen Sie was, als Blondine würden Sie richtig gut aussehen.« Dann holt Louis-Dreyfus eine Flasche Nice’n Easy Nummer 104 hervor und schamponiert die Dame an Ort und Stelle, während die übrigen Fahrgäste jubelnd und mit offenen Mündern zusehen. Hier wird Shirley Polykoff auf den Kopf gestellt: Haarefärben ist lustig, nicht ernst, und es findet öffentlich statt, nicht im

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