Was der Hund sah
Frauen Kinder, in dem Zeitalter, in dem die natürliche Auslese die Grundlagen der menschlichen Biologie legte? Wie häufig menstruierten sie? Wann kamen sie in die Pubertät und in die Menopause? Wie wirkte sich das Stillen auf den Eisprung aus? Diese Fragen waren zwar zuvor untersucht worden, doch nie so gründlich, dass Anthropologen eine klare Antwort geben konnten.
Strassmann, die an der University of Michigan in Ann Arbor unterrichtet, ist eine schlanke, rothaarige Frau, die mit leiser Stimme spricht. An ihre Zeit in Mali erinnert sie sich mit trockenem Humor. Die Hütte, in der sie unterkam, wurde vor ihrem Aufenthalt als Schafstall genutzt, und nachher als Schweinestall. In ihrer Latrine lebte eine kleine braune Schlange, die sich gern auf dem Stuhl zusammenrollte, auf den sie sich zum Waschen setzte. Die Dorfbewohner konnten sich nicht einigen, ob es sich um eine giftige Schlange handelte - eine kere me jongolo, was so viel bedeutet wie »mein Biss ist unheilbar« - oder um eine harmlose Mäusefängerin (später stellte sich heraus, dass es Letzteres war). Einmal briet ein Nachbar ihr zu Ehren eine Ratte. »Ich habe ihm gesagt, weiße Menschen dürften keine Ratten essen, weil die Ratte unser Totemtier ist«, erzählt Strassmann. »Ich sehe sie noch vor mir. Aufgedunsen und verkohlt. Die Barthaare versengt, vom Schwanz ganz zu schweigen.« Ursprünglich hatte Strassmann einen anderthalbjährigen Aufenthalt in Sangui geplant, doch sie machte dort derart profunde und erfrischende Erfahrungen, dass zweieinhalb Jahre daraus wurden. »Es war ein unglaubliches Privileg. Ich konnte mich gar nicht losreißen.«
Strassmann beschäftigte sich unter anderem mit dem Brauch der Dogon, Frauen während ihrer Monatsblutungen in besonderen Hütten am Rand des Dorfes unterzubringen. In Sangui gab es zwei solcher Unterkünfte, dunkle, beengte Einraumhütten aus Lehm mit Brettern als Betten. Jede bot drei Frauen Platz, und wer zu spät kam, musste draußen auf den Steinen schlafen. »Das ist kein Wellness-Hotel«, sagt Strassmann. »Es ist nur eine Schlafstätte. Sie kommen am Abend und stehen frühmorgens wieder auf, um Wasser zu holen.« Strassmann untersuchte Urinproben der Frauen in den Hütten, um zu bestätigen, dass die Frauen ihre Tage hatten. Sie erstellte eine Liste aller Frauen des Dorfes, und während ihres gesamten Aufenthalts (während 736 aufeinanderfolgenden Nächten) hielt sie fest, wer in der Hütte übernachtete. Dabei fand sie heraus, dass eine Frau der Dogon mit durchschnittlich sechzehn Jahren ihre erste Regelblutung hatte und acht oder neun Kinder bekam. Von der Menarche, der ersten Menstruation, bis zum zwanzigsten Lebensjahr hatte sie durchschnittlich sieben Perioden pro Jahr. Während der nächsten anderthalb Jahrzehnte, also vom zwanzigsten bis zum 34. Lebensjahr, war sie so häufig schwanger oder stillte (was bei den Dogon den Eisprung bis zu zwanzig Monate hinauszögert), dass sie im Durchschnitt auf eine Periode pro Jahr kam. Danach, zwischen dem 35. Lebensjahr und der Menopause im Alter von rund fünfzig Jahren, nimmt ihre Fruchtbarkeit rapide ab und sie hat noch etwa vier Menstruationen pro Jahr. Im Laufe ihres Lebens kommen die Frauen der Dogon so auf rund hundert Regelblutungen. (Wer die frühe Kindheit überlebt, hat gute Aussichten, über siebzig Jahre alt zu werden.)
Strassmanns Büro ist im Keller eines umgebauten Pferdestalls neben dem Naturkundemuseum auf dem Campus der University of Michigan untergebracht. Hinter ihrem Schreibtisch steht eine Reihe verbeulter Aktenschränke, und während sie spricht, zieht sie einige vergilbte Tabellen heraus. Auf jeder Seite stehen links die Namen und Kennnummern der Frauen aus Sangui. Quer über der Seite war eine Zeitachse mit Blöcken zu je dreißig Tagen eingetragen. Ein X markierte die Tage, an denen eine Frau ihre Regel hatte. Zwei Frauen des Dorfes waren unfruchtbar, erklärte Strassmann, weshalb sie Stammgäste in der Menstruationshütte waren. Sie durchsuchte die Akten, bis sie die beiden fand. »Schauen Sie, die hier hatte 29 Perioden in zwei Jahren, und die andere 23.« Neben ihren Namen stand ein X am anderen. »Diese Frau hier kommt in die Menopause«, fuhr sie fort. »Sie hat ihre Regel, aber eher unregelmäßig. Und hier ist eine Frau im besten geburtsfähigen Alter. Zwei Perioden. Dann schwanger. Ich habe sie nicht mehr in der Menstruationshütte gesehen. Diese Frau war nach ihrer Geburt zwanzig Monate lang nicht in der Hütte, weil
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