Was der Hund sah
Wochen lang in ein Obdachlosenasyl in Philadelphia, um dort für seine Dissertation zu recherchieren. Einige Monate später kehrte er zurück und stellte fest, dass keiner seiner Bekannten mehr da war.
Aufgrund seiner Erfahrungen erstellte Culhane eine Datenbank, mit deren Hilfe man erstmals festhalten konnte, wer im Asyl ein und aus ging. Seine Erkenntnisse veränderten das Verständnis von Obdachlosigkeit radikal. Obdachlosigkeit unterliegt nämlich keiner Normal-, sondern einer Exponentialverteilung. »Wir haben festgestellt, dass 80 Prozent der Obdachlosen das Asyl nach kurzer Zeit wieder verlassen«, berichtet Culhane. »In Philadelphia sind die meisten nur einen Tag lang obdachlos. Die zweitgrößte Gruppe ist zwei Tage lang obdachlos. Diese Leute kommen nie mehr wieder. Wer je unfreiwillig in einem Asyl übernachtet hat, der weiß, dass man nur an eines denkt: Was man tun muss, um nur ja nicht zurückkommen zu müssen.«
Die nächsten 10 Prozent bezeichnet Culhane als Gelegenheitsbesucher. Sie bleiben drei Wochen am Stück und kommen immer wieder zurück, vor allem im Winter. Die meisten sind jung, und viele von ihnen nehmen harte Drogen. Culhanes besonderes Interesse galt jedoch den letzten 10 Prozent, der Gruppe am äußersten Ende der Kurve. Das waren die permanent Obdachlosen, die oft Jahre lang in den Notunterkünften hausten. Sie waren älter, und viele litten unter geistigen oder körperlichen Behinderungen. Wenn wir an Obdachlose denken - Menschen, die auf dem Gehsteig schlafen, betteln, betrunken in Hauseingängen liegen, auf den Lüftungsschächten der U-Bahn kauern und unter Brücken hocken - dann denken wir an diese Gruppe. Culhanes Untersuchungen vom Anfang der neunziger Jahre ergaben, dass in New York im zurückliegenden halben Jahrzehnt rund eine Viertel Million Menschen irgendwann obdachlos gewesen war - das ist eine erstaunlich hohe Zahl. Doch nur rund 2 500 Personen waren dauerhaft obdachlos.
Außerdem stellte sich heraus, dass diese Gruppe dem Sozialsystem sehr viel höhere Kosten verursacht als angenommen. Culhane schätzt, dass die Stadt New York rund 62 Millionen Dollar pro Jahr ausgibt, um diesen 2 500 Obdachlosen einen Asylplatz zur Verfügung zu stellen. »Ein Bett in einer Notunterkunft kostet 24 000 Dollar pro Jahr«, rechnet Culhane vor. »Wir reden hier über Pritschen, die einen halben Meter auseinander stehen.« Eine Bostoner Organisation, die Obdachlose medizinisch betreut, errechnete unlängst die Kosten für die ärztliche Versorgung von 119 Obdachlosen. In einem Zeitraum von fünf Jahren starben 35, sieben wurden in Pflegeheime eingewiesen, und die Gruppe kam immer noch auf insgesamt 18 834 Besuche in der Notaufnahme (von denen jeder mindestens 1 000 Dollar kostet). Das Krankenhaus der University of California in San Diego beobachtete fünfzehn dauerhaft obdachlose Alkoholiker über einen Zeitraum von 18 Monaten und ermittelte, dass diese fünfzehn Personen insgesamt 417 Mal in der Notaufnahme das Krankenhauses versorgt wurden und Kosten in Hohe von durchschnittlich 100 000 Dollar verursachten. Einer der Obdachlosen kam ganze 87 Mal in die Notaufnahme.
»Wenn sie eingewiesen werden, haben sie oft komplizierte Lungenentzündungen«, berichtet James Dunford, Leiter des ärztlichen Notdienstes und Autor der Studie. »Sie sind betrunken, atmen ein, bekommen Erbrochenes in die Lunge und holen sich Lungenabszesse. Dazu kommt eine Unterkühlung, weil sie draußen im Regen liegen. Sie kommen mit Mehrfachinfektionen auf die Intensivstation. Oft werden sie von Autos, Bussen und Lastwagen angefahren. Dazu kommt häufig noch ein neurologisches Problem. Sie stürzen oft, schlagen sich den Kopf an und bekommen Hirnblutungen, die tödlich verlaufen können, wenn sie nicht behandelt werden. So ein Sturz mit Kopfverletzung kostet mindestens 50 000 Dollar. Gleichzeitig leiden sie unter Alkoholentzug und haben schreckliche Lebererkrankungen, die das Immunsystem schwächen. Es nimmt kein Ende. Wir machen umfassende Untersuchungen mit riesigen Laborkosten. Die Schwestern wollen nicht mehr mitspielen, weil die Typen immer wieder zurückkommen, und weil wir sie immer nur so weit hochpäppeln, dass sie aufrecht zur Tür rausgehen können.« Mit dem Problem der Obdachlosigkeit verhält es sich ähnlich wie mit dem Problem der unangemessenen Gewaltanwendung bei der Polizei von Los Angeles. Es handelt sich um einige wenige schwere Fälle. Das ist die gute Nachricht, denn wenn ein Problem derart
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