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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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»Vielleicht hatte es damit zu tun, dass er beim Militär gewesen war. Er war ein guter Koch. Einmal hat er 6 000 Dollar gespart. Ist regelmäßig zur Arbeit gegangen. Hat alles gemacht, was man ihm gesagt hat. Sie haben ihm auf die Schulter geklopft und ihn zurück auf die Straße geschickt. Innerhalb von einer Woche hat er die 6 000 durchgebracht.«
    Oft war er zu betrunken für die Ausnüchterungszelle und musste in die Notaufnahme im Saint Mary’s oder im Washoe Medical Centre gebracht werden. Marla Johns, Sozialarbeiterin in der Notaufnahme von Saint Mary’s traf ihn dort mehrmals pro Woche. »Der Krankenwagen hat ihn eingeliefert. Wir haben ihn hier behalten, bis er nüchtern genug war für die Zelle. Dann haben wir die Polizei gerufen, damit sie ihn abholt. So habe ich meinen Mann kennen gelernt.« Marla ist mit Steve Johns verheiratet.
    »Er war so was wie eine Konstante in einer Umgebung, die sich dauernd verändert«, fährt sie fort. »Er kam immer her mit seinem zahnlosen Grinsen. Er hat mich ›mein Engel‹ genannt. Wenn ich reingekommen bin, hat er mich angeschaut und gesagt ›Mein Engel, wie schön dich zu sehen!‹ Wir haben unsere Späße gemacht. Ich habe ihn gebeten, mit dem Trinken aufzuhören, aber er hat immer nur gelacht. Wenn er mal ein paar Tage nicht da war, habe ich mir Sorgen gemacht und bei der Polizei angerufen. Wenn er mal nüchtern war, haben wir gehört, er arbeitet da und da. Dann bin ich mit meinem Mann in der Nähe zum Essen gegangen. Als wir geheiratet haben, hat er mich gefragt: ›Lädst du mich zu deiner Hochzeit ein?‹ Ich habe immer geantwortet: ›Aber nur wenn du trocken bist, sonst kann ich die Getränkerechnung nicht bezahlen.‹ Als ich schwanger war, hat er mir die Hand auf den Bauch gelegt und das Kind gesegnet.«
    Im Herbst 2003 begann die Polizei von Reno mit einer Operation gegen das Betteln in der Innenstadt. Die Zeitungen berichteten ausführlich, und die örtlichen Radiosender kritisierten die Polizei heftig. Sie gehe brutal gegen die Bettler vor, behaupteten Kritiker. Die Obdachlosen seien keine Last für die Stadt, sie wollten nur überleben. »Einmal habe ich morgens eine Sendung gehört, in der haben sie nur auf die Polizei eingeschlagen und behauptet, wie unfair sie wäre«, erzählt O’Bryan. »Und ich habe nur gedacht, Mann, ich habe noch keinen von den Kritikern gesehen, wie sie im Winter nachts durch die Gassen gehen und nach den Leuten suchen.«
    O’Bryan war sauer. Im Zentrum von Reno gab es reichlich Essen für die Obdachlosen: Verschiedene Kirchen hatten Suppenküchen eingerichtet, und sogar bei McDonald’s bekamen die Armen Essen. Die Obdachlosen bettelten, um sich Alkohol zu kaufen, und der war natürlich alles andere als harmlos. O’Bryan und Johns verbrachten mindestens die Hälfte ihrer Dienstzeit mit Leuten wie Murray, sie waren nicht nur Polizisten, sondern auch Sozialarbeiter. Und sie waren nicht die einzigen. Wenn sie einen Obdachlosen fanden, der auf der Straße lag, riefen sie den Krankenwagen. Der kam mit vier Rettungssanitätern, und manchmal blieben die Obdachlosen tagelang im Krankenhaus, denn wenn sie auf der Straße geblieben wären, wo sie dauernd betrunken waren, wären sie mit großer Wahrscheinlichkeit krank geworden. Das war nicht billig.
    O’Bryan und Johns riefen einen Bekannten beim Rettungsdienst an und kontaktierten eines der beiden Krankenhäuser der Region. »Wir haben drei Personen ausgewählt, die dauernd betrunken waren und die wir am häufigsten aufgegriffen haben«, berichtet O’Bryan. »Dann haben wir diese drei in einem von unseren zwei Krankenhäusern überprüft. Einer war kurz vorher im Gefängnis gewesen und war erst seit sechs Monaten auf der Straße. In diesen sechs Monaten hat er eine Rechnung von 100 000 Dollar angesammelt - und das nur im kleineren Krankenhaus. Im anderen hatte er vermutlich eine größere Rechnung. Der zweite war aus Portland und war seit drei Monaten in Reno. In den drei Monaten hatte er Kosten von 65 000 Dollar verursacht. Der dritte hatte längere trockene Phasen und eine Rechnung von 50 000 Dollar.«
    Der erste dieser drei war Murray Barr. Johns und O’Bryan errechneten über den Daumen, wie viel seine Entziehungskuren, Behandlungen, Krankenhausaufenthalte und so weiter in zehn Jahren auf der Straße gekostet haben mussten und kamen zu dem Schluss, dass er vermutlich eine höhere Arztrechnung hatte als irgendjemand sonst in Nevada.
    »Es hat uns eine Million Dollar

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