Was der Hund sah
geträllert haben. Dann spielte er mir »Taj Mahal« des brasilianischen Künstlers Jorge Ben vor, das einige Jahre zuvor aufgenommen worden war. Mit Mitte zwanzig hatte mein Freund in verschiedenen New Yorker Clubs aufgelegt und hatte sich irgendwann auch für Weltmusik interessiert. »Dann ist es mir aufgefallen«, grinste er. »Die ersten Takte von ›Taj Mahal‹ sind sehr lateinamerikanisch, vollkommen anders als das, was wir gerade gehört haben. Aber dann habe ich es gehört. Es war so offensichtlich und eindeutig, dass ich laut lachen musste. Es war der Refrain von ›Do Ya Think I’m Sexy‹, Note für Note. Es kann natürlich sein, dass Rod Stewart selbst darauf gekommen ist, denn Ähnlichkeit ist noch kein Beweis, dass es sich tatsächlich um eine Kopie handelt. Vielleicht war er aber auch in Brasilien und hat da Musik gehört, die ihm gefallen hat.«
Mein Freund hatte Hunderte Beispiele. Wir hätten stundenlang in seinem Wohnzimmer sitzen und musikalische Ahnenforschung betreiben können. Ob er sich ärgerte, wenn er Ähnlichkeiten entdeckte? Natürlich nicht, denn er wusste genug über Musik, um zu verstehen, dass diese gegenseitige Beeinflussung - die Zitate und Variationen - ein fester Bestandteil des kreativen Prozesses sind. Natürlich konnte die Kopie auch zu weit gehen. Manchmal klang es, als würden Musiker andere einfach nachspielen, und das hatte mit wahrer Kreativität nichts mehr zu tun. Doch ebenso gefährlich war es, Künstler genau kontrollieren zu wollen, denn wenn Led Zeppelin sich nicht beim Blues bedient hätte, dann hätten wir heute kein »Whole Lotta Love«, und wenn Kurt Cobain nicht »More Than a Feeling« gehört und den Teil, der ihm gefiel, herausgenommen und abgewandelt hätte, dann hätte er nie »Smells Like Teen Spirit« geschrieben - und in der Entwicklung der Rockmusik war »Teen Spirit« ein großer Fortschritt gegenüber »More Than a Feeling«. Ein erfolgreicher Musikmanager muss erkennen, wann ein Zitat produktiv und kreativ ist, und wann es sich um eine bloße Kopie handelt. Mir wurde klar, dass diese Unterscheidung in der Diskussion um Bryony Laverys Zitate fehlte. Ja, sie hatte von meinem Artikel abgeschrieben. Aber niemand wollte wissen, warum sie einige Passagen kopiert hatte, was sie kopiert hatte oder ob diese Kopien einem höheren Zweck dienten.
5.
Anfang Oktober erhielt ich Besuch von Bryony Lavery. An einem sonnigen Samstagnachmittag trafen wir uns in meiner Wohnung. Sie war Mitte fünfzig, hatte kurzes, strubbeliges blondes Haar und hellblaue Augen. Sie trug Jeans, eine weite, grüne Bluse und Clogs. Sie hatte etwas Raues und Ehrliches. Am Vortag hatte Times -Kritiker Ben Brantley ihr neues Stück Last Easter verrissen. Das hätte ihr großer Moment sein können. Frozen war für einen Tony nominiert worden und Last Easter war angelaufen. Und jetzt? Sie ließ sich auf einen Stuhl an meinem Küchentisch fallen. »Ich habe alle Höhen und Tiefen durchgemacht«, sagte sie und spielte dabei nervös mit ihren Händen, als bräuchte sie eine Zigarette. »Beim Schreiben schwankt man immer zwischen absolutem Selbstvertrauen und absolutem Selbstzweifel, und ich habe von beidem eine Menge abbekommen. Nach Frozen hatte ich großes Selbstvertrauen, und jetzt tut sich ein Abgrund auf.« Sie sah mich an. »Es tut mir leid«, entschuldigte sie sich.
Dann erklärte sie. »Wenn ich schreibe, dann schaue ich mir tausend Sachen gleichzeitig an. Ich schneide Artikel aus der Zeitung aus, weil ich die Geschichte interessant finde, und weil sie irgendwie auf die Bühne passt. Irgendwann verdichtet sich alles. Es ist, als würde man eine Suppe einkochen. Und dann schält sich langsam eine Geschichte heraus, eine Struktur. Ich habe Thriller über teuflisch intelligente Serienmörder gelesen wie Das Schweigen der Lämmer. Ich habe Dokumentarfilme über die Opfer der Yorkshire Killer, die Moormörder Myra Hindley und Ian Brady, gesehen. Sie haben Kinder entführt. Ich hatte das Gefühl, dass diese Morde nicht teuflisch intelligent waren. Eher im Gegenteil. Sie waren banal und dumm und zerstörerisch. Ich habe die Interviews mit den Opfern gesehen, die überlebt hatten, und hatte das Gefühl, sie sind alle in der Zeit festgefroren. Einer hat gesagt: ›Ich bin kein nachtragender Mensch, aber wenn dieser Mann jetzt auf freiem Fuß wäre, dann könnte ich ihm nicht verzeihen. Ich würde ihn umbringen.‹ Das ist in Frozen. Das hat mich ins Grübeln gebracht. Dann ist meine Mutter ins
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