Was der Hund sah
Sätze wie »Die Aufgabe der Hirnrinde - vor allem der Bereiche hinter der Stirn, die als Frontallappen bezeichnet werden - besteht darin, die Impulse des Gehirns zu modifizieren, Urteile zu liefern, Verhalten und Entscheidungen zu organisieren sowie die Regeln des Alltags zu lernen und sich an sie zu halten.« Es fällt schwer, bei Sätzen wie diesen so etwas wie Autorenstolz zu empfinden. Ich nehme an, es handelt sich um meine Zusammenfassung eines Abschnitts, den ich in irgendeinem Fachbuch gelesen hatte. Lavery wusste, dass es falsch gewesen wäre, Partington nicht zu erwähnen. Es ist keine Kleinigkeit, sich bei der Geschichte einer Frau zu bedienen, deren Schwester ermordet wurde, denn diese Frau ist persönlich stark betroffen. Spielen Aufgüsse der Beschreibungen von physiologischen Funktionen wirklich in derselben Liga?
Es ist auch nicht ganz unwichtig, wie Lavery meine Worte verwendete. Bei thematisch verwandten Arbeiten ist Abschreiben ein eindeutiger Ideenklau. Es ist eine Sache, ob man wie Doris Kearns Goodwin eine Geschichte der Kennedys schreibt und sich bei einer anderen Geschichte der Kennedys bedient. Doch Lavery schrieb kein zweites Profil von Dorothy Lewis. Sie schrieb ein Stück über etwas vollkommen anderes, nämlich darüber, was passiert, wenn eine Frau dem Mörder ihrer Tochter begegnet. Sie stützte sich auf meine Beschreibungen von Lewis’ Leben und Arbeit, um die Begegnung glaubwürdig darzustellen. Funktioniert die Kreativität nicht genau nach diesem Prinzip? Alte Worte im Dienst einer neue Idee sind nicht das Problem. Unkreativ wären neue Worte im Dienste einer alten Idee.
Genau das ist der zweite Haken an dem Plagiatsvorwurf. Er ist nicht nur fundamentalistisch. Er hat nichts mehr mit der sehr viel wichtigeren Frage zu tun, was Kreativität hemmt und was sie fördert. In unseren Augen hat ein Autor das Recht, eine Romanidee zu kopieren - denken Sie nur daran, wie viele Klone Das Schweigen der Lämmer hervorgebracht hat. Doch als Kathy Acker Teile einer Bettszene aus Harold Robbins Roman wortwörtlich in eine Satire einbaute, wurde sie des Plagiats bezichtigt und mit einer Anklage bedroht. In meiner Zeit als Reporter einer Tageszeitung wurden wir regelmäßig losgeschickt, um eine Geschichte der Times zu kopieren und damit die Idee eines Kollegen neu zu verpacken. Aber wenn wir die Worte kopiert hätten, und seien es die einfachsten Sätze gewesen, dann wären wir vor die Tür gesetzt worden. Die Ethik des Plagiats hat sich in den Narzissmus des feinen Unterschieds verwandelt: Da sich der Journalismus seinen von Natur aus nachahmenden Charakter nicht eingestehen kann, muss er die Originalität auf der Ebene des Satzes durchsetzen.
Dorothy Lewis sagt, was sie an Frozen am meisten schmerzte, war die Tatsache, dass Agnetha eine Affäre mit ihrem Kollegen David Nabkus hat. Lewis befürchtete, man könnte denken, sie hätte eine Affäre mit ihrem Kollegen Jonathan Pincus gehabt. »Das ist Rufschädigung«, erklärte sie mir. »Das bin erkennbar ich. Viele Leute haben zu mir gesagt: ›Dorothy, das Stück handelt von dir.‹ Und wenn alles andere stimmt, dann muss auch diese Affäre stimmen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich mich so verletzt fühle. Wenn man das Leben eines anderen Menschen nimmt und dieser Mensch erkennbar ist, dann kann man nicht einfach eine Affäre erfinden, und schon gar nicht als Höhepunkt eines Theaterstücks.« Es ist verständlich, dass Lewis schockiert war, als sie im Zuschauerraum saß und mitansehen musste, wie »ihre« Figur eine Affäre eingestand. Doch Lavery hatte jedes Recht, Agnetha eine Affäre anzudichten, denn Agnetha ist nicht Dorothy Lewis. Sie ist eine erfundene Bühnenfigur, die sich zwar in Lewis’s Biografie bedient, die aber in eine frei erfundenen Geschichte versetzt wird. Im wirklichen Leben küsste Lewis Ted Bundy auf die Wange, und in einigen Fassungen von Frozen küsst Agnetha Ralph. Aber Lewis küsste Bundy nur, weil dieser sie geküsst hatte, und es ist ein großer Unterschied, ob man den Kuss eines Serienkillers erwidert, oder man ihn zuerst küsst. Als wir Agnetha zum ersten Mal begegnen, rennt sie aus dem Haus und fantasiert wie es wäre, eine Stewardess zu ermorden. Diese Szene soll dem Zuschauer den Eindruck vermitteln, dass Agnetha verrückt ist. Und wenn wir eines über Lewis wissen, dann, dass sie nicht verrückt ist: Mit ihrer Unerschütterlichkeit und ihrer Arbeit hat sie Menschen geholfen, ihr Bild von Verbrechern zu
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