Was der Hund sah
Krankenhaus gekommen. Es war eine einfache Operation, aber der Arzt hat ihr den Darm perforiert, sie hat eine Bauchfellentzündung bekommen und ist gestorben.«
Lavery brach ab und musste sich einen Moment lang sammeln. »Sie war 74, und mir ist aufgefallen, dass ich dem Arzt keinen Vorwurf gemacht habe. Für mich war das ein echter Unfall. Natürlich tut es mir leid für meine Mutter, aber es war ein Unfall.« Lavery empfand ihre Gefühle jedoch als verwirrend, denn sie erinnerte sich daran, dass sie anderen Menschen wirkliche Kleinigkeiten noch Jahre lang nachgetragen hatte. »In Frozen ging es mir auch darum, Vergebung zu verstehen«, sagte sie.
Schließlich entschied sich Lavery für ein Stück mit drei Personen. Die erste ist ein Serienmörder namens Ralph, der ein junges Mädchen entführt und ermordet. Die zweite ist Nancy, Mutter des Opfers. Die dritte schließlich ist Agnetha, eine Psychiaterin aus New York, die nach England kommt, um Ralph zu untersuchen. Im Laufe des Stücks überschneiden sich die Leben dieser drei Figuren immer weiter, sie verändern sich und lernen zu vergeben. Lavery sagt, das Vorbild für Ralph habe sie aus The Murder of Childhood von Ray Wyre und Tim Tate, einem Buch über Serienmörder. Nancy basierte auf einem Artikel, den eine Frau namens Marian Partington im Guardian veröffentlicht hatte; ihre Schwester war von den Serienmördern Frederick und Rosemary West getötet worden. Und Agnetha stammte aus einem Nachdruck meines Artikels, den sie in einer britischen Zeitschrift gelesen hatte. »Ich wollte eine verständnisvolle Wissenschaftlerin«, er- klärte Lavery - eine Wissenschaftlerin, die plausibel machte, wie man einem Mann vergeben konnte, der die eigene Tochter ermordet hat, und die erklären konnte, warum es sich nicht um ein Verbrechen aus Bosheit, sondern um ein Verbrechen aus Krankheit handelte. »Es sollte inhaltlich korrekt sein«, fügte sie hinzu.
Aber warum erwähnte sie mich und Lewis nicht? Wie konnte sie so peinlich genau auf die Korrektheit achten und darüber die Quellenangabe vergessen? Das konnte Lavery nicht beantworten. »Ich habe gedacht, es wäre okay, wenn ich es verwende«, sagte sie mit einem verlegenen Schulterzucken. »Es ist mir irgendwie nicht in den Sinn gekommen, Sie zu fragen. Ich habe gedacht, es handelt sich um Nachrichten .«
Sie war sich bewusst, wie wenig angemessen ihre Antwort klang. Und als sie hinzufügte, dass sie den Artikel in einer großen Mappe von Quellenmaterial gesteckt hatte, das sie für die Arbeit an dem Stück verwendete, und dass sie diese Mappe nach der Uraufführung in Birmingham verloren hatte, war sie sich bewusst, dass dies kaum besser klang.
Doch dann erzählte mir Lavery von Marian Partington, einer anderen wichtigen Quelle der Inspiration, und plötzlich wurde der Fall komplizierter. Während ihrer Arbeit an Frozen hatte sich Lavery mit Partington in Verbindung gesetzt und ihr geschrieben, dass sie ihre Geschichte in einem Theaterstück verarbeiten wolle. Nach der Premiere in London trafen sich die beiden und unterhielten sich. Als ich die Rezensionen von Frozen in der britischen Presse las, fand ich diese Besprechung aus dem Guardian, die vor zwei Jahren, lange vor Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe veröffentlicht worden war:
Lavery ist sich bewusst, wie viel sie Partingtons Artikel verdankt. »Ich erwähne es immer, denn mir ist klar, wie tief ich in der Schuld von Marian Partingtons Aufsatz stehe... Bei Themen wie diesen muss man extrem vorsichtig sein, denn sie berühren die tiefsten Gefühle eines Menschen, und ich wollte nicht, dass sie unvorbereitet über das Stück stolpert.«
In anderen Fällen war sich Lavery ihrer intellektuellen Schuld also sehr wohl bewusst - nur eben in meinem nicht. Das lag daran, dass meine Arbeit aus ihrer Sicht etwas anderes war. Es handelte sich, wie sie es ausdrückte, um »Nachrichten«. Sie kopierte meine Beschreibung einer neurologischen Untersuchung von Jonathan Pincus, dem Kollegen von Dorothy Lewis. Sie kopierte meine Beschreibung der zerstörerischen neurologischen Folgen von langen und außergewöhnlichen Stressphasen. Sie kopierte meine Transkription eines Fernsehinterviews mit Franklin. Sie gab ein Zitat wieder, dass ich aus einer Untersuchung über die Opfer von Kindesmisshandlungen entnommen hatte. Und sie kopierte ein Lewis-Zitat über die Natur des Bösen. Sie kopierte weder meine Überlegungen, noch meine Schlussfolgerungen oder meine Struktur. Sie übernahm
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