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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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atemberaubend. Ich sehe ein, dass das kein Kriterium ist. Doch für mich war es das. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mir etwas weggenommen worden war, im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, meine Worte seien Teil von etwas Größerem geworden. Ende September wurde die Geschichte bekannt. Die New York Times, der Observer aus England und die Nachrichtenagentur Associated Press berichteten von den Plagiatsvorwürfen, und wenig später zogen andere Zeitungen nach. Bryony Lavery hatte einen meiner Artikel gelesen, war beeindruckt gewesen, und hatte ihn in ein Kunstwerk eingebaut. Und nun war ihr Ruf ruiniert. Irgendetwas schien mir daran nicht richtig zu sein.
3.
    Im Jahr 1992 veröffentlichten die Beastie Boys den Song »Pass the Mic«. Das Lied beginnt mit einem sechs Sekunden langen Ausschnitt aus dem Stück »Choir« des Jazzflötisten James Newton aus dem Jahr 1976. Dieser Ausschnitt war ein Beispiel für Multiphonics, der Flötist »überbläst« das Instrument und singt gleichzeitig Falsett. In »Choir« spielt Newton ein C auf der Flöte und singt C, Des, C, und in der Mischung aus dem verzerrten C des Instruments und dem Gesang entsteht ein komplexer und gänsehauteinflößender Klang. In ihrem Song »Pass the Mic« wiederholen die Beastie Boys die Passage mehr als vierzig mal. Die Wirkung ist hypnotisch.
    In der Musikwelt gibt es zwei unterschiedliche Arten von Urheberrecht: Das Recht an der Aufnahme und das Recht an der Komposition. Wenn Sie einen Rap-Song aufnehmen und den Chor aus Billy Joels »Piano Man« einsampeln wollen, dann müssen Sie erst die Erlaubnis der Plattenfirma einholen, um die Aufnahme von »Piano Man« einbauen zu dürfen, und dann die Erlaubnis von Billy Joel (oder wer auch immer die Rechte an seiner Musik hält), um die Komposition zu verwenden. Im Falle von »Pass the Mic« holten sich die Beastie Boys die erste Erlaubnis - also das Recht, die Aufnahme von »Choir« verwenden zu dürfen - , aber nicht die zweite. Newton klagte und verlor. Der Grund für seine Niederlage vor Gericht ist ein schöner Einstieg für unsere Überlegungen zum geistigen Eigentum.
    Im Prozess stand die Unverwechselbarkeit von Newtons Darbietung nicht zur Diskussion. Die Beastie Boys hatten schließlich die Rechte zur Verwendung der Aufnahme korrekt erworben und die entsprechende Gebühr entrichtet. Es stand also gar nicht zur Debatte, ob sie die zugrundeliegende Komposition verwendet hatten oder nicht. Es ging vielmehr um die Frage, ob die Beastie Boys dazu auch die zweite Erlaubnis hätten einholen müssen. War die Komposition, die diesem sechs Sekunden langen Sample zugrunde lag, derart originell und unverwechselbar, dass Newton behaupten konnte, die Rechte an ihr zu haben? Das Gericht verneinte.
    Zu ihrer Verteidigung ließen die Beastie Boys ein Gutachten von Lawrence Ferrara, der Musikprofessor an der New York University ist, erstellen. Als ich ihn bat, mir das Urteil zu erklären, öffnete er das Klavier in einer Ecke seines Büros und spielte diese drei Noten: C, Des, C. »Das war’s!«, rief er aus. »Das ist alles! Das haben sie verwendet. Wissen Sie, was das ist? Das ist eine Verzierung, eine einfache Tonfolge, wie sie Tausende Male verwendet worden ist. Das kann niemand besitzen.«
    Ferrara spielte das vielleicht bekannteste, aus vier Tönen bestehende Thema der klassischen Musik, die Eröffnung zu Beethovens fünfter Sinfonie: G, G, G, Es. Das war unverwechselbar Beethoven. Aber war es auch originär? »Das ist schon schwerer«, meinte Ferrara. »Andere Komponisten haben das auch verwendet. Beethoven selbst hat diese Tonfolge in einer Klaviersonate verwendet, und bei früheren Komponisten taucht sie auch auf. Reden wir über da-da-da-dummm, da-da-da-dummm - genau diese Noten mit genau dieser Länge? Oder nur die Tonfolge G, G, G, Es? Die gehört niemandem.«
    Ferrera sagte auch in einem Prozess gegen Andrew Lloyd Webber aus, der von Ray Repp, einem Komponisten katholischer Folkmusik, verklagt wurde. Repp behauptete, die Einleitung des »Phantom Song« aus dem Musical Phantom of the Opera aus dem Jahr 1984 habe weitgehende Ähnlichkeit mit dem Lied »Till You«, das er sechs Jahre, zuvor, also im Jahr 1978, veröffentlicht hatte. Ferrara erzählte, er habe sich ans Klavier gesetzt und nacheinander den Refrain beider Stücke gespielt. Sie hätten tatsächlich sehr ähnlich geklungen. »Das ist Lloyd Webber«, sagte er und rief beim Spielen die Noten. »Und das ist Repp. Die gleiche Sequenz. Nur dass

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