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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Andrew hier eine Quarte anstelle einer Sext setzt.«
    Doch Ferrara war mit seinen Ausführungen noch nicht zu Ende. »Ich habe mir gedacht, ich schaue mir mal alles an, was Andrew Lloyd Webber vor 1978 komponiert hat, Jesus Christ Superstar, Joseph, Evita und so weiter.« Er durchsuchte sämtliche Partituren. In Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat wurde er schließlich fündig. »Es ist der Song ›Benjamin Calypso‹.« Ferrara spielte den Refrain. Das kam mir sofort vertraut vor. »Das ist die erste Hälfte des Refrains von ›Phantom Song‹. Dieselben Noten. Aber jetzt kommt’s. So klingt ›Close Every Door‹ in einer Konzertaufnahme von Joseph aus dem Jahr 1969.« Ferrara ist ein adretter, lebhafter Mann mit einem schmalen Oberlippenbärtchen. Die Erinnerung an den Webber-Prozess ließ ihn erregt auf und ab hüpfen. Er spielte wieder. Das war der Rest des Refrains von ›Phantom Song‹. »Die erste Hälfte stammt aus ›Benja- min Calypso‹, die zweite aus ›Close Every Door‹. Note für Note. Der Teil aus ›Benjamin Calypso‹ hat sogar noch größere Ähnlichkeit mit dem ›Phantom Song‹ als mit dem Lied von Repp. Lloyd Webber hat bei sich selbst abgeschrieben.«
    Die Beastie Boys wurden vom Vorwurf des Plagiats freigesprochen, weil die zugrundeliegende Tonfolge keine originale Schöpfung war. Und Andrew Lloyd Webber wurde freigesprochen, weil die Vorlage nicht vom Kläger stammte, sondern von ihm selbst. Nach dem Urheberrechtsgesetz spielt es keine Rolle, ob man ein fremdes Werk kopiert. Es geht viel mehr darum, was man kopiert, und wie viel . Das Urheberrecht ist also mehr als eine buchstabengetreue Umsetzung des biblischen Gebots »du sollst nicht stehlen«. Es geht vielmehr davon aus, dass man unter Umständen sehr wohl stehlen darf. Der Schutz des Urheberrechts ist beispielsweise zeitlich befristet, nach seinem Ablauf geht die betreffende Schöpfung in öffentliches Eigentum über und kann ohne Einschränkungen kopiert werden. Oder nehmen wir an, Sie haben im Labor in Ihrem Keller eine Methode zur Behandlung von Brustkrebs entwickelt. Wenn Sie sich diese patentieren lassen, ist Ihre Erfindung zwanzig Jahre lang geschützt, danach kann sich jeder frei bedienen. Sie erhalten zunächst ein Monopol an der Nutzung, denn die Gesellschaft will Forschern einen finanziellen Anreiz geben, medizinische Behandlungsmethoden und Ähnliches zu erfinden. Doch nach einem angemessenen Zeitraum kann jeder Ihre Methode zur Behandlung von Brustkrebs übernehmen, denn die Gesellschaft hat ein Interesse daran, dass so viele Leute wie möglich Ihre Erfindung kopieren. Nur so können andere von ihr lernen und auf ihr aufbauend bessere und kostengünstigere Alternativen entwickeln. Dieses Gleichgewicht zwischen dem Schutz und der Einschränkung des geistigen Eigentums ist sogar in der amerikanischen Verfassung festgeschrieben: »Der Kongress hat das Recht, den Fortschritt von Kunst und Wissenschaft dadurch zu fördern, dass Autoren und Erfindern für beschränkte Zeit« - man beachte diese Einschränkung - »das ausschließliche Recht an ihren Publikationen und Entdeckungen gesichert wird.«
4.
    Stimmt es also, dass Worte demjenigen gehören, der sie geschrieben hat, genau wie andere Formen des Eigentums ihrem Eigentümer gehören? Nicht ganz. In seinem Buch Free Culture formuliert es der Jurist Lawrence Lessig so:
    Im Falle des Urheberrechts von einem Eigentumsrecht zu sprechen, ist im Grunde genommen irreführend, denn das Recht an einer Urheberschaft ist eine ungewöhnliche Form des Eigentums ... Wenn ich einen Picknicktisch mitnehme, den Sie in Ihrem Garten aufgestellt haben, dann ist vollkommen eindeutig, was ich mir aneigne. Ich nehme einen Gegenstand, einen Tisch, und wenn ich ihn in meinen Besitz bringe, haben Sie ihn nicht mehr. Aber was nehme ich, wenn ich Ihre gute Idee übernehme, einen Picknicktisch im Garten aufzustellen? Wenn ich also in ein Kaufhaus gehe, einen Picknicktisch kaufe und ihn in meinen Garten stelle? Was nehme ich mir in diesem Fall?
    Dabei geht es nicht nur um den Gegensatz zwischen einem
    Gegenstand und einer Idee, obwohl dieser Unterschied nicht unwesentlich ist. Es geht vielmehr darum, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle eine öffentlich gemachte Idee kostenlos ist. Ich nehme Ihnen nichts weg, wenn ich Ihre Kleidung kopiere, auch wenn es komisch wirkt, wenn ich jeden Tag dieselbe Kleidung trage wie Sie... Thomas Jefferson sagte (und dies trifft vor allem zu, wenn ich die

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