Was der Winter verschwieg (German Edition)
mit einem korrupten Diamantensyndikat gemeinsame Sache gemacht hat.“
„Ich wusste gar nicht, dass Amerikaner dort arbeiten dürfen. Die USA sind doch kein Mitglied dieses Gerichts, oder?“
Sie blinzelte überrascht. „Woher wissen Sie das?“
„Mal sehen, es stand in der Zeitung? Ab und zu lese ich auch etwas anderes als
Ein Herz für Großtiere
.“
„Tut mir leid. Und Sie haben recht, die USA sind nicht Mitglied. Genauso wie China, Irak oder Nordkorea, aber wir geben die Hoffnung nicht auf …“ Sie brach ab. Ihre politische Meinung sollte sie lieber erst einmal für sich behalten. „Wie auch immer, es gibt trotzdem Amerikaner am ICC. Außerdem ist meine Mutter Kanadierin, weshalb ich die doppelte Staatsbürgerschaft habe.“
Er stand auf und stellte einen Krug Milch und eine große weiße Pappschachtel auf den Tisch. „Ich bin gestern vor dem Sturm noch an der Bäckerei vorbeigefahren.“ Er deutete auf die Schachtel. „Bedienen Sie sich.“
Sophie hob den Deckel an und erblickte vier perfekte, glänzende Zimtrollen. Sie kamen aus der Sky River Bakery, einer Institution in Avalon. „Vielleicht eine halbe“, sagte sie.
„Komm Sie, riskieren Sie mal was. Essen Sie eine ganze.“
„Wenn ich mich an meine Jetlag-Diät halten würde, müsste ich heute früh Proteine zu mir nehmen – Schinken, Eier, so was.“
„Ich kann Ihnen ein paar Eier machen, aber ich habe leider keinen Schinken, weil ich kein Fleisch esse. Ich habe vier Jahre lang gelernt, wie man Tiere heilt, nicht wie man sie brät und isst. Fleisch ist nicht sonderlich appetitanregend für jemanden, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, Tiere gesund und am Leben zu halten. Obwohl, einiges ess ich doch“, fügte er hinzu. „Fisch und Meeresfrüchte. Ich hatte nämlich noch nie eine Krabbe oder eine Forelle als Patienten.“
„Ich verstehe.“ Sophie nickte. „Das ist … lobenswert.“
„Aber komisch. Kommen Sie, sagen Sie es schon. Sie finden das seltsam.“
„Nein, gar nicht.“ Sophie aß alles, von Steak Tartar bis Ziege. Sie hatte in Asien Schafsaugen gegessen und in Afrika eine traditionelle Mischung der Massai aus Kuhblut und Milch getrunken. „Meine Ernährung ist ab und zu ein wenig abenteuerlich gewesen.“
„Sind Sie auf Urlaub hier oder …?“
Sie verspürte den starken Drang, ihm von dem Vorfall zu erzählen, von der Nacht, in der sie auseinandergenommen und zu einem neuen Menschen zusammengesetzt worden war. Aber sie gab diesem Drang natürlich nicht nach. So freundlich und ansprechend der Mann auch war, er war ein Fremder, und sie hatte nicht vor, ihm ihre Seele zu offenbaren.
„Ich habe mich entschieden, ein paar Veränderungen vorzunehmen. Ich habe meine Arbeit geliebt, aber …“
„Aber jetzt sind Sie hier.“
„Für den Job in Den Haag musste ich alles zurücklassen, was mir im Leben lieb und teuer ist.“ So viel dazu, sich nicht zu sehr zu offenbaren. Es war einfach so leicht, mit ihm zu reden. „Genauer gesagt, meine Familie. Ich habe erkannt, dass ich nicht beides haben kann – Job und Familie. Irgendetwas musste ich aufgeben. Am Internationalen Strafgerichtshof zu arbeiten ist wirklich toll, aber jeder Anwalt mit der richtigen Ausbildung und dem entsprechenden Hintergrund bekommt das hin.“
Ihre Kollegen hatten ihr gesagt, sie sei verrückt, was sie in Den Haag tue, wäre alle Opfer wert. Doch sie hatte es nicht mehr geglaubt. Sie war nicht sicher, warum, aber sie vermutete, Noah Shepherd würde es verstehen. „Ich wollte in der Nähe meiner Kinder leben. Und meines Enkels.“
Er hörte auf zu kauen und starrte sie an. Dann trank er hastig einen Schluck Milch. „Tut mir leid. Haben Sie gerade
Enkel
gesagt?“
Sophie lächelte. „Er heißt Emile Charles Bellamy – genannt Charlie – und ist fast sechs Monate alt.“
Er bemühte sich gar nicht erst, sein Erstaunen zu verbergen. „Sie sehen definitiv nicht alt genug aus, um schon Großmutter zu sein.“
„Das höre ich oft.“ Sie schaute auf ihren Teller und stellte überrascht fest, dass sie tatsächlich die gesamte Zimtrolle aufgegessen hatte.
„Nun“, sagte er. „Die werden sich sicher freuen, Sie hier zu haben. Meine Großmutter hat mich praktisch aufgezogen, weil meine Eltern mit der Molkerei so viel um die Ohren hatten. Wir stehen uns immer noch nahe. Jeden Sonntag essen wir zusammen zu Mittag. Sie und ihr Mann leben drüben in Indian Wells.“
„Ich kenne meine Großeltern kaum“, erzählte Sophie. „Die
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