Was der Winter verschwieg (German Edition)
auf.
„Ja, Ma’am. Ich studiere Finanz- und Rechnungswesen.“
„Das ist gut.“ Sophie setzte sich ihm gegenüber. Sie hatte keine Ahnung, worüber sie mit diesem Jungen sprechen sollte. Diesem attraktiven Jungen, der das Leben ihrer Tochter so sehr verändert hatte.
„Ist schon gut“, sagte Logan. „Sie müssen keinen Small Talk mit mir machen. Bei allem Respekt, wir können gleich zur Sache kommen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, was Sie über mich denken.“
„Wirklich?“
„Sie glauben, ich war eine dumme Sportskanone von der Highschool, die sich ihrer Tochter gegenüber verantwortungslos verhalten hat. Ganz zu schweigen davon, dass ich drogenabhängig war und einen Entzug hinter mir habe. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, dass Sie mir gegenüber skeptisch sind.“
Sophie würde ihn nicht dadurch beleidigen, dass sie seine Annahmen abstritt. „Und jetzt versuchst du, dich zu rehabilitieren“, sagte sie daher nur.
„Ich bin mir nicht sicher, was das heißt.“ Er grinste sie an. „Muss der dumme Sportler in mir sein.“
Sie spürte, wie sie ihm gegenüber weicher wurde. „Das macht nichts. Es ist sowie unmöglich. Glaub mir, ich habe es versucht.“
„Ich weiß nur, dass ich mich jetzt auf die Zukunft konzentriere“, sagte er. „Und Charlie ist ein Teil dieser Zukunft.“
„Das klingt gut.“ Sie machte eine kleine Pause. „Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?“
„Sicher.“
„Unterstützt deine Familie dich hierbei?“
„Nein“, gab er offen zu. „Sie haben Charlie noch nicht ein einziges Mal gesehen.“
Sophie hätte nie erwartet, diesen Jungen zu mögen. Mit seiner Situation mitzufühlen. Sie hatte nicht geglaubt, mehr als eine schlechte Entscheidung ihrer Tochter in ihm sehen zu können. Doch jetzt, nach diesem schmerzhaften Eingeständnis, wurde Logan O’Donnell für sie auf einmal ein Mensch. Jemand, dessen Eltern Schwierigkeiten mit seiner Entscheidung hatten. Und endlich verstand sie, warum Daisy sich überhaupt erst mit ihm angefreundet hatte und wieso sie erlaubte, dass er Charlie so oft besuchte.
„Das tut mir leid“, sagte sie aufrichtig. „Vielleicht kommen sie irgendwann damit zurecht. Aber bis dahin ist es das größte Geschenk, das du dir machen kannst, Zeit mit Charlie zu verbringen. Du wirst es nicht bereuen.“ Schnell stand sie auf. „Warum bleibst du nicht noch ein wenig bei ihm, während ich meine E-Mails checke?“ Sie zeigte in Richtung des kleinen Zimmers, in dem Daisy ihren Computer stehen hatte.
„Danke, Mrs Bellamy.“ Seine Stimme hatte eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Charlies. „Das weiß ich sehr zu schätzen.“
„Du kannst mich ruhig Sophie nennen“, sagte sie. „Dann fühle ich mich nicht so alt.“
„Sie sind nicht alt, glauben Sie mir“, erwiderte er aufrichtig. „Ich kümmere mich solange um den kleinen Kerl.“
Während Sophie ihre E-Mails hochlud, checkte sie auf dem PDA ihre To-do-Liste und die nächsten anstehenden Termine. In der Vergangenheit war die Liste immer endlos gewesen, und selbst mit ihrem Mitarbeiterstab war es ihr nie gelungen, alles abzuarbeiten. Was sie allerdings nie davon abgehalten hatte, es zu versuchen oder sich von diesem Vorhaben gestresst zu fühlen.
Seitdem sie in Avalon war, drehte sich alles auf der Liste um ihre Kinder und Charlie. Einen Tag in der Woche half sie als Freiwillige bei der Essensausgabe in Max’ Schule. Die Stunden in der überheizten, nach Zwiebeln riechenden Cafeteria der Schule, in denen sie den Furzwitzen der Jungen und dem Geplapper der Mädchencliquen zuhörte, schenkten ihr tiefe Einblicke in das wahre Leben von Teenagern. Sie war fasziniert von der Bandbreite menschlichen Verhaltens, das sie beobachten konnte. Es reichte von kaltblütiger Grausamkeit bis hin zu herzerweichender Güte. Sie beobachtete, wie Schüler mit der Präzision eines Skalpells aus einer Gruppe herausgetrennt wurden und andere sich mitfühlend um die seelischen Wunden ihrer Mitschüler kümmerten. Sie verstand diesen Drang, gemocht, bewundert und bestätigt zu werden – denn diejenigen, denen das nicht gelang, mussten die Folter der Verdammten ertragen.
Dann gab es das Eishockeytraining und die Spiele. Sie schaute Max gern zu, war jedoch kein großer Freund der anderen Mütter. Die Mutterriege. Mit Ninas älterer Schwester Maria als Teammutter war Sophie kein sonderlich gern gesehener Gast. Sie weigerte sich jedoch, sich davon beeinflussen zu lassen. Es musste ihr egal sein.
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