Was der Winter verschwieg (German Edition)
ihrer Mutter ließ, um zum College zu gehen, unternahm sie nicht oft etwas allein.
In der Küche fand sie nicht nur Olivia, sondern auch Jenny Majesky und Nina. „Hallo zusammen“, sagte sie und wandte sich an Nina. „Ich wusste gar nicht, dass du auch hier sein würdest.“
„Selber Hallo.“ Nina streckte die Arme nach dem Baby aus.
„Ich dachte, ich dürfte heute babysitten“, protestierte Olivia.
Jenny lachte. „So jung, und schon reißen sich die Frauen um ihn.“
„Wir teilen es uns“, versprach Nina, machte sich aber dann gleich daran, Charlie den Schneeanzug auszuziehen. Er kannte und liebte sie und gluckste erfreut, als sie den Reißverschluss öffnete und Charlie dann so hielt, dass Olivia ihn aus dem Anzug pellen konnte.
Daisy ging zum Kühlschrank und stellte die vorbereiteten Fläschchen hinein. „Also, was gibt’s zu berichten?“
„Jenny hat Neuigkeiten“, sagte Olivia.
Nina strahlte Jenny an. „Und was für welche.“
„Bist du schwanger?“, fragte Daisy. Das wäre nicht verwunderlich. Jenny hatte ein Jahr zuvor Rourke McKnight geheiratet und kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie so bald wie möglich eine Familie gründen wollte.
Doch Jenny schüttelte den Kopf. „Nein, nicht diese Art von Neuigkeiten. Du weißt doch, dass ich die ganze Zeit über geschrieben habe, oder?“
„Die ganze Zeit heißt: ihr ganzes Leben lang“, fügte Nina hinzu. Jenny hatte eine sehr beliebte wöchentliche Backkolumne in der örtlichen Tageszeitung. Nina wirkte aufgeregter als Jenny; sie sprudelte förmlich über. Nina und Jenny waren wirklich beste Freundinnen. Sie hatten sich in der Grundschule kennengelernt und waren seitdem unzertrennlich. Daisy glaubte, dass solche Freundschaften eine ganz besondere Güte besaßen.
Daisy hatte keine solchen Freunde. In der Highschool war sie zu achtlos gewesen oder vielleicht auch zu sehr damit beschäftigt, ihr Image als Partygirl aufrechtzuerhalten. Sie und Sonnet standen sich nahe, aber sie waren erst seit einem Jahr befreundet, und ihre Leben waren so kompliziert geworden, dass sich das Band zwischen ihnen nicht mehr so sicher und vertraut anfühlte wie noch zu Beginn.
Aber Nina und Jenny – das war eine ganz andere Geschichte. Daisy betrachtete die beiden wie durch den Sucher einer Kamera. Sie sahen komplett unterschiedlich aus – Nina war dunkel und klein, ein Ausbund an Energie. Jenny hingegen war still und schön und wirkte irgendwie zerbrechlich und verletzlich. Jenny hatte so viele unglaublich schmerzhafte Verluste und Tragödien in ihrem Leben durchlitten, sich aber niemals davon unterkriegen lassen. Jetzt strahlte sie nur so vor Glück, und Daisy hoffte, dieses Glück auch eines Tages für sich zu finden.
„Okay, was sind das nun für Neuigkeiten?“, fragte sie. „Irgendetwas, das mit deinem Schreiben zu tun hat?“
„Genau. Meine Sammlung an Erinnerungen und Rezepten über meine Kindheit und Jugend in der Sky River Bakery wird als Buch veröffentlicht.“
Daisy wusste, dass Jenny seit Jahren daran gearbeitet hatte. Es war unglaublich, jemanden, dessen Träume gerade Wirklichkeit geworden waren, direkt vor sich stehen zu haben. „Ich gratuliere dir, Jenny“, sagte sie. „Die Bäckerei wird von allen so geliebt. Deinem Buch wird es genauso gehen.“
„Das hoffe ich. Und ich habe eine Bitte.“ Sie öffnete einen großen Umschlag und zog einige Fotos heraus, die Daisy damals während ihrer Zeit in der Bäckerei gemacht hatte. „Wenn du damit einverstanden bist, würde ich diese Bilder gerne dem Verleger zeigen. Falls sie sie benutzen, würdest du natürlich für deine Arbeit bezahlt werden.“
„Natürlich nutzen sie die“, warf Nina ein. „Diese Fotos sind brillant.“
„Das finde ich auch“, stimmte Jenny zu. „Sie wollen ein paar Archivfotos der Bäckerei mit hineinbringen, aber die meisten davon sind im Feuer verloren gegangen.“ Sie bezog sich auf den Brand, der letztes Jahr das Haus in Schutt und Asche gelegt hatte. „Ich möchte gerne dieses Bild für den Titel vorschlagen.“ Sie zeigte auf das oberste Foto des Stapels. Charlie streckte die Hände danach aus, aber Nina hielt ihn zurück. Das Bild zeigte die mehlbestäubten Hände einer Frau, die mit geschickten Griffen einen Teig knetete. Die Hände gehörten Laura Tuttle, die seit gefühlten Millionen Jahren in der Bäckerei arbeitete, und all diese Erfahrung und Kraft zeigte sich in ihren Händen. Sie sahen nicht alt aus, aber kräftig und als wären sie
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