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Was der Winter verschwieg (German Edition)

Was der Winter verschwieg (German Edition)

Titel: Was der Winter verschwieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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stürzen.
    Dann traf es sie wie ein Blitz – wie sehr sie es genoss, Julian in ihrer Welt zu haben. In dem Moment hielt sie den Atem an. Es fühlte sich an wie ein Gebet.
    Endlich erreichte er den Gipfel und verschwand hinter einer glitzernden Erhöhung aus Eis. Daisy sackte zusammen. Sie fühlte sich schwach, und ihr war auf einmal ganz kalt. Ein dickes langes Seil schlängelte sich an der Eiswand hinunter. Ein Aufstiegsseil? Machte er Witze? Glaubte er wirklich, sie würde ihm da rauf folgen?
    Charlie, dachte sie. Ich kann keine Dummheiten mehr machen. Sie schaute noch einmal zu dem Seil. Das hier war Julian. Er war verrückt, aber er wusste, was er tat, oder?
    Sie steckte ihre Kamera weg, setzte den Rucksack, Helm und Brille auf, überprüfte noch einmal ihr Geschirr und befestigte das Seil. „Gesichert“, rief sie. „Und wenn ich es bis da oben hinaufschaffe, bringe ich dich um.“
    Sie ging den Aufstieg vorsichtiger und mit mehr Klampen an als jemals zuvor. Außerdem wählte sie die einfachste Route, die sie finden konnte. Trotzdem dauerte es lang und war schwer. Ihre Arme und Beine zitterten, ihre Muskeln schrien nach Sauerstoff. Seit Charlies Geburt hatte sie sich körperlich nicht mehr so verausgabt. Atemlos und schwitzend zog sie sich schließlich auf den Gipfel. Sie nahm Helm und Brille ab und atmete tief durch. „Danke“, sagte sie. „Das war großartig.“
    Er streckte ihr die Hand entgegen, zog sie daran auf die Füße und ließ auch nicht los, als Daisy schon stand. Es war immer noch da, dieses gewisse Gefühl, das sie immer in seiner Nähe empfand. Das Wiedererkennen. Die Sehnsucht.
    „Julian …“
    Er ließ sie nicht ausreden, sondern beugte sich vor, umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste Daisy. Er hatte sie noch nie geküsst, obwohl sie es sich schon oft gewünscht hatte. Es war kein großer, epischer, filmreifer Kuss, sondern ein warmer, weicher, zärtlicher. Und gerade deshalb noch viel verstörender, weil er Daisys Herz vor Gefühlen schier bersten ließ.
    Julian beendete den Kuss, und Daisy trat einen Schritt zurück. Doch ihre Hände in den feuchten Handschuhen hielten ihn weiter an der Jacke fest, so als hätten sie ein Eigenleben. Sie musste sich richtiggehend zwingen, ihn loszulassen.
    Er schien es nicht persönlich zu nehmen, betrachtete sie aber nachdenklich. „Ich habe sehr lange darauf gewartet, das endlich zu tun.“
    „Willkommen im Club“, murmelte sie. Gleich darauf war ihr das Geständnis peinlich. „Aber wir, äh, sollten vermutlich nichts miteinander anfangen.“ Oh Mann, hatte sie das wirklich gesagt?
    „Warum nicht?“
    „Weil du und ich … wir sind …“ Sie verstummte, konnte es nicht erklären.
    „Was sind wir, Daisy?“ Er klang frustriert. „Kannst du mir das sagen? Denn ich würde es wirklich gerne wissen.“
    „Du bist einer meiner besten Freunde“, sagte sie mit geradezu schmerzhafter Ehrlichkeit. „Ich wünschte …“ Sie wünschte so viel. Dass die Scheidung ihrer Eltern sie nicht so mitgenommen hätte und sie damals, als sie Julian kennengelernt hatte, nicht so ein emotionales Wrack gewesen wäre. Dass sie beide sich in diesem Moment nicht in so vollkommen unterschiedlichen Phasen ihres Lebens befänden. Dass sie sich klar darüber wäre, was sie für Logan empfand. Sie dachte an ihre Mom, die nicht ihrem Herz gefolgt war; sie hatte den Vater ihres Kindes geheiratet, aber es hatte nicht wirklich funktioniert. Oder? Daisy erinnerte sich an die Fotoalben voller Bilder einer normalen Familie in guten und in schlechten Zeiten. Eine Entscheidung ihrer Mutter hatte diese Familie geschaffen. Es war nicht alles schlecht gewesen, oder?
    Sie blinzelte ein paarmal und hoffte, dass Julian ihre Tränen dem Wind zuschreiben würde. „Es hat nie eine passende Zeit für uns gegeben.“ Sie lächelte, obwohl ihr nach Weinen zumute war. „Was willst du von mir, Julian? Mit mir ausgehen? Mein Freund sein? Willst du mit jemandem zusammen sein, der Hunderte Meilen von dir weg wohnt und sich um ein Baby kümmern muss? Denn so sieht die Realität nun mal aus. Wir können rausgehen und eine oder zwei Stunden lang verrückte Dinge tun, aber danach landen wir unweigerlich wieder in der Realität. Du kehrst nach Ithaca zurück und ich zu Charlie.“
    „Das klingt, als wenn du dich, was mich betrifft, bereits entschieden hättest.“
    Kapierte er es denn nicht? Sie besaß nicht mehr die Freiheit, solche Entscheidungen zu treffen.

25. KAPITEL
    D ie Post in

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