Was der Winter verschwieg (German Edition)
hier war ihre Chance, ihr Leben neu aufzubauen. Und Noah zu treffen war … der unerwartete Anfang davon. Sie hatte keine Ahnung, ob daraus irgendetwas Bedeutungsvolles werden würde, aber ihr Herz fühlte sich erstaunlich leicht an, während sie in den Stall zurückkehrten, die Pferde absattelten und putzten.
Auf dem Weg zum Haus fühlte sie mit einem Mal seine Hand auf ihrem unteren Rücken. Sie gingen gemeinsam hinein, und Sophie zog Stiefel und Jacke aus. Ehe sie sich’s versah, hatte Noah sie schon gegen die Schranktür gedrückt und küsste sie. Selbst als sich kurz die Chance dazu bot, protestierte sie nicht. Und in diesem kurzen Augenblick, diesem Moment des Zögerns, war sie verloren. Und ohne dass sie etwas sagen musste, wusste er es. Ungestüm zog er sie an sich und gab ihr einen weiteren Kuss, der jeglichen Widerstand dahinschmelzen ließ. Als sie sich voneinander lösten, um Atem zu holen, wiederholte sie flüsternd seine Worte vom Nachmittag: „Ich schwöre, dass ich das nicht im Sinn hatte, als ich hierhergekommen bin.“
„Aber ich lasse dich vorher nicht mehr gehen“, erwiderte er und küsste sie erneut.
Am nächsten Tag erwachte Sophie allein – kein Noah, kein warmer Welpe lag an ihrer Seite. Etwas angespannt wartete sie auf die üblichen Nachwehen ihrer Albträume. Dann öffnete sie ungläubig aufkeuchend die Augen. Sie hatte keine Albträume gehabt. Vielleicht war das nur Zufall, vielleicht hatte sie aber auch einen wichtigen Schritt in Richtung Heilung getan.
In der Hoffnung, dass es sich um Letzteres handelte, stand sie auf und griff, ohne nachzudenken, nach einem karierten Flanellhemd. Sie schlüpfte hinein und fühlte sich sofort besser. Der Stoff war ganz weich vom vielen Tragen und roch noch ein wenig nach Noah. Sie zog das Hemd enger um sich und ging ins Bad, um sich frisch zu machen. Die Situation schien ihr langsam zu entgleiten. Sie konnte nicht ständig mit Noah Shepherd im Bett landen, nur weil sie eingeschneit waren. Oder weil jede Zelle ihres Körpers sich danach sehnte. Das war impulsives, hemmungsloses Verhalten, das sie wieder ein wenig unter Kontrolle bekommen musste. Und doch hatte sie eine Art Entscheidung gefällt, oder? Perverserweise liebte sie es, Noah die Kontrolle zu überlassen. Mit ihm war sie in der Lage, den Moment zu leben, sich ihren Gefühlen hinzugeben, wie sie es noch nie zuvor getan hatte. Es war eine Art Wahnsinn, und doch benahm er sich, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Vielleicht war es das für ihn ja auch.
Sie wusch sich das Gesicht, kämmte sich das Haar und ging mit neuer Entschlossenheit nach unten. Es hatte aufgehört zu schneien. Sicher würden die Straßen heute wieder freigegeben werden. Das normale Leben würde Einzug halten, und in ihrem normalen Leben musste sie sich auf ihre Kinder konzentrieren und darauf, ihnen von jetzt an eine echte Mutter zu sein.
Sie warf einen Blick auf den kleinen Schreibtisch am Fenster. Darauf lagen ein Stapel unbeschriebener Papiere und eine Auswahl von Stiften. Sophie erinnerte sich an den Rat, den Dr. Maarten ihr gegeben hatte. Sie sollte aufschreiben, was sie bedrückte, um es loslassen zu können. Die Idee dahinter war einfach. Nimm etwas, was in deinem Inneren gärt, und lass es raus.
Ich habe nichts, was in mir gärt, hatte sie dem Arzt gesagt. Sie hatte es sogar geschafft, das sehr entschlossen hervorzubringen, so als meinte sie es ernst. Und sie musste ihm zugutehalten, dass er keinen Lachanfall bekommen hatte. Jetzt erst hatte sie wirkliche Erlösung gefunden – beim Sex mit einem Fremden. Ein Akt des Wahnsinns, der ihre geistige Gesundheit wiederhergestellt hatte. „Schreiben Sie einfach jeden Tag etwas auf, lang oder kurz, das ist egal. Schreiben Sie eine Unterhaltung auf, die sie gerne mit Ihren Geiselnehmern geführt hätten. Schreiben Sie etwas auf, was sie einem Nahestehenden gerne gesagt hätten, es aber nie getan haben.“
Das nannte sie mal eine Aufgabe. Hundert Jahre wären nicht genug Zeit, um all das aufzuschreiben, was sie nicht gesagt hatte. Sie wünschte, sie wäre ihren Eltern gegenüber offener gewesen, damals, als sie noch jung gewesen war und viel zu sehr damit beschäftigt, sie nicht zu enttäuschen. Sie wünschte, sie hätte tausend ehrliche Unterhaltungen mit Greg geführt; vielleicht hätte das Scheitern ihrer Ehe dadurch verhindert werden können. Sie wünschte, es wäre ihr gelungen, ihren Kindern verständlich zu machen, wieso sie zugelassen hatte, dass ihr
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