Was der Winter verschwieg (German Edition)
Schlimmste. Viel schrecklicher war, dass er, nur wenige Stunden, nachdem er mit Sophie im Bett gewesen war, mit Tina Calloway zum Essen ausging.
Sophie weigerte sich, das, was an diesem Abend im Restaurant vorgefallen war, an sich heranzulassen. Noah ist nur irgendein Mann, dachte sie. Ein Mann, der sie aus dem Graben gezogen hatte, ihre Wunde vernäht und ihr Feuerholz gebracht hatte. Und ja, ein Mann, der ihr multiple Orgasmen beschert hatte. Das hatte man davon, wenn man sich um den Finger wickeln ließ. Wenn man sprang, ohne vorher zu gucken, wohin.
Na gut, dachte sie. Es ist sowieso besser, wenn wir nur einfach Nachbarn sind. Sie war schließlich hier, um sich auf ihre Familie zu konzentrieren. Und was das anging, war der Abend richtig gut verlaufen. Die Kinder schienen ganz aufgeregt zu sein, sie nun so nah bei sich zu haben. Charlie war ein Geschenk – nein, ein Segen –, und sie freute sich drauf, ihn aufwachsen zu sehen und ein Teil seines Lebens zu sein.
Das reicht, sagte sie sich. Nach dem, was sie überlebt hatte, waren ihre Kinder und ihr Enkel alles, was sie brauchte. Irgendwann würde sie bestimmt auch ein paar Freunde in Avalon finden. Sie würde sich hier ihr Leben einrichten. Das kleine Intermezzo mit Noah Shepherd würde schon bald der Vergangenheit angehören.
Dafür würde sie auf der Stelle sorgen. Sie nahm ihr Telefon zur Hand, schaute auf die Uhr und wählte dann die Nummer von Brooks Fordham in New York.
„Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät für einen Anruf“, sagte sie statt einer Begrüßung.
„Aber nicht doch. Ich kann es kaum erwarten, Sie zu sehen, Sophie. Wir haben so viel zu bereden.“
„Das stimmt. Aber vor allem möchte ich mich persönlich davon überzeugen, wie es Ihnen geht.“
„Ich kann mit dem Zug zu Ihnen kommen. Sie müssen mir nur sagen, wann es Ihnen passt.“
„Warten wir doch diese Schlechtwetterperiode ab.“ Sophie wanderte im Haus auf und ab und zuckte an einer Stelle beim Klang seiner Stimme zusammen. Es lag nicht an ihm, sondern an den Erinnerungen, die er in ihr weckte. Der Abend damals hatte so wundervoll angefangen; der erste Schnee, der allem einen ganz besonderen Zauber verliehen hatte. Doch der Terror und die Gewalt, die gefolgt waren, hatten einen größeren Eindruck bei ihr hinterlassen.
„Einverstanden“, sagte er. „Doch nur um der Wahrheit Genüge zu tun, ich habe einen Hintergedanken, was unser Treffen angeht. Ich schreibe für den
New Yorker
einen Artikel über das, was geschehen ist, und hoffe, später ein Buch darüber zu machen.“
Einen Augenblick lang war Sophie ganz still. Er war Autor. Das war es nun mal, was Autoren taten. Dann hörte sie sich antworten: „Ich helfe Ihnen, wo ich kann, Brooks.“
15. KAPITEL
M ann, das ist ja mal ’ne schöne Scheiße“, merkte Bo Crutcher an, als Noah im Stall mit einer schlingernden Schubkarre voller Pferdemist an ihm vorbeikam.
„Ja, danke für den Hinweis“, rief Noah ihm über die Schulter hinweg zu. „Das wäre mir sonst gar nicht aufgefallen.“ Er manövrierte die Schubkarre die Rampe hinunter, aus dem Stall hinaus und einen ausgetretenen Weg entlang zu dem Misthaufen am äußeren Ende der Koppel, der in der kalten Luft dampfte.
Bo schaute von der Stalltür aus zu. Er trug eine Daunenjacke von Nanook of the North, Schneestiefel, gefütterte Handschuhe und eine karierte Mütze mit Ohrenklappen, die an ihm erstaunlicherweise überhaupt nicht albern aussah. Er war in der stickigen Wärme der texanischen Golfküste aufgewachsen und machte keinen Hehl aus seiner tief sitzenden Abneigung gegen Kälte und Schnee. Als Star-Pitcher des Baseballteams von Avalon verbrachte er die meisten Winter an den Stränden in Texas, arbeitete auf den Ölfeldern und feierte wie ein gerade aus dem Knast Entlassener, bis sein Agent ihn rechtzeitig zum Beginn des Trainings im Frühling zurückpfiff.
In diesem Winter war es jedoch anders. Er hatte sich entschieden, vor dem Frühlingstraining in Florida einige Zeit in Avalon zu verbringen, weil er, wie er sagte, ein wenig Distanz zwischen sich und seine Exfreundin bringen wollte. Eine seiner Exfreundinnen vielmehr, denn davon hatte Crutcher einige.
Er blies den Rauch des Zigarillos, den er rauchte, in die Luft.
„Also das“, sagte Noah, „ist wirklich eklig.“
Bo nahm die flache Packung aus seiner Tasche. „Willst du auch eine?“
„Klar. Ich hatte schon immer diesen unbändigen Todeswunsch.“
„Ich inhaliere nicht.“
„Fein. Dann
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