Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
Vom Netzwerk:
würde sie sich bestimmt nicht gern an ihn erinnern. Erinnern Sie sich an mich? Ich bin der Kriminalbeamte, der den Alten verflucht hat, den Sie für solch einen Schatz halten. Wollen Sie mit mir ausgehen?
    »Sir, so können Sie nicht mit ihm reden …« Dunham schien gar nichts davon mitbekommen zu haben.

    Infante öffnete das Fotoalbum und zeigte auf das letzte Bild von Tony. »Er ist tot, wissen Sie? Verbrannt bei einem Feuer. Vielleicht ermordet. Wusste er, was Sie getan haben? Wusste seine Freundin davon?«
    Der alte Mann schüttelte den Kopf, seufzte und starrte aus dem Fenster, als ob Infante der Schwachsinnige wäre, ein komplett Irrer, den man am besten ignorierte. Verstand er überhaupt etwas? Wusste er etwas? Hatten sich die Fakten in seine Erinnerung eingebrannt, oder waren sie für immer verloren? Wo auch immer sie sich befanden, für Infante waren sie unzugänglich. Stan Dunham richtete den Blick auf die Krankenschwester, als wolle er ihre Bestätigung dafür, dass die Unterbrechung seiner Routine bald vorbei war. Wann werden wir zwei endlich wieder alleine sein , schien er sie zu fragen. Sie redete leise und beruhigend auf ihn ein und streichelte ihm die Hand.
    »Das ist eigentlich gar nicht erlaubt«, sagte sie mit einem besorgten Blick auf Infante. »Die Patienten zu streicheln. Aber er ist so nett, mein Lieblingspatient. Sie machen sich keine Vorstellung.«
    »Nein, wirklich nicht«, sagte Kevin. Weiß Gott, was er mit Ihnen gemacht hätte, als Sie noch ein Teenager waren .
    Chet Willoughby hatte weiter durch den Papierkram im Pappkarton gewühlt und sich dann dem Abschlusszeugnis und der Heiratsurkunde gewidmet, die er durch seine Hornbrille betrachtete.
    »Hier stimmt etwas nicht, Kevin. Es ist schwer zu sagen, was, aber hiernach ist es höchst unwahrscheinlich, dass Ruth Leibig Heather Bethany ist.«

Kapitel 39
    Zwischen dem Esszimmer und dem Wohnzimmer gab es eine gläserne Flügeltür, und Kay war über die Jahre hinweg aufgefallen, dass ihre Kinder sich unsichtbar wähnten, wenn die Tür geschlossen war. Sie nutzte es oft aus und stellte ihren Lieblingssessel so hin, dass sie einen Blick auf Grace oder Seth erhaschen konnte, wenn sie völlig selbstvergessen waren, ein Zustand, der mit jedem Jahr seltener wurde. Sie wuchsen heran, und es war, als würde sich dabei ein immer größerer Schorf oder ein immer dickeres Narbengewebe auf die empfindsame Seele ihrer Kinder legen, zum Schutz vor der Welt. Es gefiel ihr, wie Grace ihre Haare kaute, während sie ihre Mathe-Hausaufgaben machte, eine Angewohnheit, die Kay noch aus ihrer eigenen Kindheit kannte. Seth sprach mit elf immer noch mit sich selbst, erzählte von seinem Leben in einem ruhigen, gemächlichen Monolog, der Kay an die Kommentare bei Golfturnieren erinnerte. »Das ist mein Snack«, sagte er zum Beispiel und stapelte seine Kekse in exakten Mustern und Formen. »Oreos, echte Oreos, weil Oreos einfach die Besten sind. Und hier kommt die Milch, fettarm, vom Giant-Supermarkt, weil Milch immer gleich schmeckt. Aaaahhh!« Der Teil mit der Milch war das, was Kay immer gepredigt hatte, als sie sich in der Zeit nach der Scheidung ständig Sorgen ums Geld machen musste. Sie hatte auf alle Markenprodukte verzichtet und dafür die supermarkteigene Marke gekauft. Und sie hatte die Kinder mit verbundenen Augen testen lassen, um ihnen zu beweisen, dass sie unmöglich den Unterschied herausschmecken konnten. Der Clou war, sie konnten es. Deshalb war sie schließlich an diesem Punkt einen Kompromiss eingegangen. Markenprodukte für Chips, Kekse und Limonade, für Milch, Nudeln, Brot und Dosengemüse die supermarkteigenen Produkte.

    Manchmal ertappten sie die Kinder dabei, wie sie sie durch die Glastür beobachtete, aber es schien sie nicht groß zu stören. Vielleicht gefiel es ihnen sogar, weil Kay sie in diesen Augenblicken nie neckte oder sich über sie lustig machte. Stattdessen zuckte sie jedes Mal schuldbewusst die Schultern und wandte sich wieder ihrem Buch zu, tat so, als hätte sie rein zufällig dorthin geschaut.
    Diesmal saß allerdings Heather im Esszimmer und ihr Gesicht verfinsterte sich, als sie Kay auf der anderen Seite der Tür erblickte, obwohl Heather nur die Sonntagszeitung las und es Kays einziger Gedanke gewesen war, wie hübsch Heather in dem fahlen Licht aussah. Den Blick auf die Zeitung gerichtet, die sie auf Armeslänge von sich weghielt, als wäre sie leicht weitsichtig, zeigte ihre Stirn keine Falten, und ihr Kinn war

Weitere Kostenlose Bücher