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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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hätte sie auch nichts zu verbergen gehabt. Dave erst recht nicht.
    Dennoch war es Dave gewesen, der anfänglich gelogen hatte, den Teil von Mrs. Baumgartens Besuch ausgelassen hatte, unbeholfen etwas darüber stammelte, weshalb er den Laden schon früher geschlossen hatte und ein paar Häuser weiter in der Kneipe ein Bier getrunken hatte. Bei den ersten Polizeibefragungen hatte er nervös gezaudert, sein Blick war ziellos durch den Raum geschossen. Hatte darin das Problem bestanden? Hatte sich die Polizei so sehr an Daves merkwürdigem Verhalten festgebissen, dass sie ihn für schuldig hielt? Jetzt leugnete sie es, aber Dave war sich sicher, dass man ihn verdächtigt hatte.
    »Haben Sie gesungen?« Chet kannte Daves Gewohnheiten inzwischen sehr gut.
    »Ja«, erwiderte Dave. »Ein weiterer Tag, ein weiterer Sonnenuntergang. Und nach dreihundertfünfundsechzig weiteren Sonnenuntergängen werden wir uns wieder hier versammeln, dieselbe Geschichte erzählen und immer noch darauf hoffen, dass sich jemand meldet? Oder werden die Gedenktage nach
dem ersten Jahr nur noch seltener begangen? Nach fünf Jahren, zehn Jahren, dann zwanzig, dann fünfzig?«
    »Dreihundertsechsundsechzig«, sagte Miriam.
    »Was?«
    »1976 ist ein Schaltjahr. Also hat es einen Tag mehr. Es ist dreihundertsechsundsechzig Jahre her, dass die Mädchen verschwunden sind. Ich meine Tage, dreihundertsechsundsechzig Tage.«
    »Na, gratuliere, Miriam, dass du es auf den Tag genau getroffen hast, bedeutet bestimmt, dass du sie mehr geliebt hast als ich. Leider ist heute erst der 27. März. Die Reporter brauchen den Vorlauf, um ihre Berichte vorab zu schreiben. Die erscheinen übermorgen in der Montagszeitung, am eigentlichen Jahrestag. Deshalb ist es eigentlich Tag dreihundertvierundsechzig.«
    »Dave …« Dies war die Rolle, die Chet in ihrem Leben eingenommen hatte, mehr Friedensstifter denn Polizist. Aber Dave war sowieso schon demoralisiert. Vor einem Jahr – na ja, vor dreihundertvierundsechzig Tagen – hatte er noch geglaubt, dass es das größte Unglück seines Lebens wäre, seine Frau zu verlieren. Im Monaghan’s an der Theke hatte er die klassischen Emotionen des gehörnten Mannes durchlebt – Wut, Rache, Selbstmitleid, Angst. Er hatte mit der Vorstellung gespielt, sich von Miriam scheiden zu lassen, voller Vertrauen, dass, wenn irgendeinem Vater die Kinder zustanden, dann ihm, unter diesen Umständen. Stattdessen hatte er seine Kinder verloren und seine Frau behalten.
    Wenn er die Wahl gehabt hätte – aber er hatte keine Wahl gehabt. Wer hatte die schon, wenn es wirklich um etwas ging. Hätte man ihn gefragt, er hätte Miriam auf der Stelle geopfert, wenn er dafür Sunny und Heather zurückbekommen hätte, und es war klar, dass das umgekehrt genauso galt. Ihre Ehe war nur noch ein brüchiges Andenken an ihre Töchter, wahrlich das Mindeste, was sie tun konnten.

    Er sagte Chet Gute Nacht und nahm seinen Wein mit auf die hintere Veranda, betrachtete die Reifenschaukel, die von dem einzigen stabilen Baum im Garten hing, den Stapel Stöcke und Bretter beim Zaun. Als die Mädchen noch klein waren, hatten sie gern hinten im Garten Hütten aus Zweigen und Ästen gebaut, mit Teppichen aus Moos, das sie aus anderen Teilen des Gartens verpflanzten, und Essensvorräten aus wilden Zwiebeln und Löwenzahn. Die Mädchen waren schon lange aus diesem Alter herausgewachsen, aber ihr letzter Unterschlupf hatte bis zum letzten Winter gehalten, dann war er unter der Last des Schnees zusammengebrochen. Dave hatte das Gefühl, in einem Haus von zerbrochenen Stöcken zu leben, aufgespießt an den spitzen Enden, das Moos längst vertrocknet, die Vorräte an wilden Zwiebeln erschöpft.

Kapitel 17
    Endlich war Miriam alleine – alone again, naturally , wie es in dem Song hieß, den Sunny mit zwölf hoch und runter gehört und alle damit letzten Endes wahnsinnig gemacht hatte. Sie ging zur Spüle hinüber und kippte ihr Glas Wein aus. Miriam machte sich nicht mehr viel aus Alkohol, nicht dass Dave so etwas auffallen würde. Um festzustellen, wie wenig Miriam dieser Tage trank, hätte er merken müssen, wie viel er selbst trank, und an dieser Art von Selbsterkenntnis hatte er kein Interesse.
    Die Spüle befand sich direkt unter einem großen Fenster mit Aussicht auf den Garten, die einzige Änderung, die Miriam bei der Renovierung des Hauses eingebracht hatte. Eine Frau braucht ein Fenster über der Spüle , wand sie ein, nachdem sie Daves ursprünglichen Plan

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