Was die Toten wissen
es Ihnen ja zurückzahlen.«
Der Gedanke schien sie zu amüsieren.
»Tut mir leid, Heather«, sagte Kay, »aber es reicht kaum für mich und die Kinder. Und es wäre einfach nicht recht. Ich bin Sozialarbeiterin. Es gibt Grenzen, über die kann ich mich nicht einfach hinwegsetzen.«
»Aber Sie sind nicht wirklich für mich zuständig als Sozialarbeiterin. Alles, was Sie für mich getan haben, ist, mir Gloria zu vermitteln. Und es wird sich noch zeigen, was dabei herauskommt.«
»Sie mögen Gloria nicht?«
»Es geht nicht um Mögen oder Nichtmögen. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob sich ihre Interessen mit meinen decken. Und wenn sie sich gezwungen sieht zu wählen, was glauben Sie wohl, wessen sie wahrnehmen wird?«
»Die ihrer Mandanten. Gloria ist etwas seltsam, das gebe ich zu, und sie präsentiert sich gern in der Öffentlichkeit. Aber sie wird tun, was Sie verlangen, solange Sie sie nicht belügen.«
Wieder dieses Klopfen, zwei Finger gegen die Lippen. Es erinnerte Kay daran, wie Kinder früher Indianer spielten und mit der Hand gegen den Mund trommelnd Kriegsgeheul ausstießen. Sie fragte sich, ob Kinder so etwas immer noch machten.
Manche Dinge starben einfach aus. »Alley Oop« zum Beispiel, dieser Comic, wo Höhlenmenschen ihre Frauen an den Haaren herumschleiften. Wer würde dem heute noch eine Träne nachweinen?
»Kommen Sie schon, Kay. Es muss eine Lösung geben.«
»Ich könnte Felix vielleicht bei uns unterbringen.«
»Nein, das Haus ist mit Katzenhaaren und Hautschuppen übersät. Aber wie wäre es, wenn Sie und die Kinder hierherzögen und ich bei Ihnen wohnte?«
Kay war sprachlos, wie selbstverständlich Heather diesen Vorschlag hervorbrachte. Sie fand das anscheinend keineswegs unzumutbar, sondern völlig normal. Kay benutzte klinische Fachbegriffe mit äußerster Vorsicht, aber ein Hauch von Narzissmus ließ sich nicht ganz verleugnen. Es konnte allerdings entscheidend zu Heathers Überleben beigetragen haben.
»Nein, Seth und Grace wären wohl kaum damit einverstanden. Wie alle Kinder brauchen sie die vertraute Umgebung. Aber …« Sie wusste, dass sie auf einem schmalen Grat wandelte. Teufel aber auch, was aus einem Fehltritt werden konnte. Trotzdem stürzte sie sich kopfüber darauf und fuhr fort. »Wir haben einen kleinen Raum über der Garage. Er ist nicht beheizbar und hat keine Klimaanlage, das sollte um diese Jahreszeit jedoch kein Problem sein, nicht mit einem Heizgerät. Er war ursprünglich als Büro gedacht, aber es steht eine Couch darin und es gibt eine Dusche. Vielleicht könnten Sie dort bleiben, zumindest, bis Ihre Mutter eintrifft.«
Es würde nur für ein, zwei Tage sein, sagte sich Kay. Und offiziell war sie nicht Heather zugeteilt worden. Es wäre nichts weiter als ein Gefallen für Gloria. Außerdem konnte sie es nicht zulassen, dass die Polizei Heather einsperrte. Eine Inhaftierung konnte für eine Frau, die fast ihre gesamte Jugend in Gefangenschaft verbracht hatte, verheerende Folgen haben.
»Glauben Sie, dass sie reich ist?«, fragte Heather.
» Was?«
»Meine Mutter. Wir waren es nie, ganz im Gegenteil. Aber er sagte, sie lebt in Mexiko – das hört sich irgendwie nach Geld an. Vielleicht erbe ich ja was. Ich habe mich immer gefragt, was mit dem Geschäft meines Vaters und dem Haus passiert ist, nachdem er gestorben ist. Manchmal lese ich Nachlassanzeigen. Sie wissen schon, Bankkonten und Schließfächer, zu denen sich niemand meldet. Aber ich habe noch nie etwas auf meinen Namen entdeckt. Ich schätze, er konnte mich schlecht in seinem Testament erwähnen, nachdem alle mich für tot hielten. Keine Ahnung, was mit den Ersparnissen für unsere College-Ausbildung passiert ist, nicht dass es viel gewesen wäre.«
Kay spürte, wie die Feuchtigkeit der Steine durch ihren Rock drang, und zugleich waren ihre Hände seltsam heiß und schwitzig.
»Und jetzt kommt sie zurück, sagen Sie. Ich werde Gloria anrufen und sie fragen, was sie davon hält. Vielleicht sollte ich mich morgen freiwillig stellen und ihnen doch noch alles erzählen. Dann werden sie mir vielleicht glauben.«
Kapitel 21
Babys schwebten über den Bildschirm. Nein, nicht Babys im Plural – nur ein einziges Baby, das Baby schlechthin, das einzige Baby, das im neuen Jahrtausend etwas zählte. Mach Platz da, Jesus , dachte Kevin, Andrew Porter Jr. hat in der Stadt Einzug gehalten . Und seine Mutter, inzwischen Computer-Spezialistin, hatte unzählige Fotos von ihm heruntergeladen, sodass auf
Weitere Kostenlose Bücher