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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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etwas Scheußliches, Schleimiges aus meinen Eingeweiden hervorbricht, wie in einem Science-Fiction-Film. Ich finde die Vorstellungen anderer, was Leid angeht, ziemlich dürftig. Also gut, dieser Vater kann sich so viele Vorwürfe machen, wie er will, aber es war die Reaktion auf meinen …«
    »Ein Fehler, der durch die widrigen Straßenbedingungen hervorgerufen wurde, für die Sie nichts konnten«, erinnerte sie Kay.
    »Ja, aber meinen Sie, derjenige in dem Unfall davor und noch viel weniger dieser unfähige Straßenarbeiter, der die Fahrbahn nicht richtig gesäubert hatte, meinen Sie wirklich, die haben den Zusammenhang begriffen? Nein, und das werden sie auch niemals. Es trifft den, den es trifft, ob gerechtfertigt oder nicht.«
    Sie waren von dem abgekommen, was Heather ihr eigentlich gerade anvertrauen wollte. Kay fragte sich, wie sie sie wieder dorthin bringen konnte. Es war nicht Sensationslüsternheit, die sie antrieb. Sie kam sich eher wie eine neutrale Verbündete vor. Die Polizei wie auch Gloria verfolgten ihre eigenen Ziele. Kay wollte hingegen nicht wissen, welchen Namen diese Frau im Augenblick benutzte. Sie versuchte auch nicht, das Rätsel ihres Verschwindens zu lösen.
    »Natürlich kann alles unter uns bleiben«, wiederholte sie den genauen Wortlaut. »Sie können mir Sachen erzählen, die ich nicht weitergeben werde, es sei denn, sie schaden sich selbst oder anderen damit.«
    Wieder so ein zerrissenes Halblachen. »Jeder hat so seine Hintertürchen.«
    »So was nennt man moralisch handeln.«
    »Also gut, hier kommt mein Geheimnis. Nachdem ich alleine war, habe ich über die Jahre versucht, meine Eltern im Blick zu behalten. Mein Vater war leicht zu finden, weil er immer noch in demselben Haus wohnte. Man hatte mir gesagt, er wohne nicht mehr dort, doch er wohnte da. Aber meine Mutter, meine Mutter konnte ich nicht ausfindig machen. Das
heißt, ich hatte sie bereits gefunden und habe dann vor etwa sechzehn Jahren ihre Spur verloren. Ich bin davon ausgegangen, dass sie gestorben ist, aber ich habe auch nicht wirklich ernsthaft weitergesucht. Ich verspürte eine seltsame Erleichterung bei der Vorstellung, dass sie tot war, weil ich angefangen hatte zu glauben, was sie mir erzählt hatten, dass ich ihr egal sei, dass sie mich nicht mehr sehen wolle.«
    »Wie konnten Sie das glauben?«
    Das darauf folgende Schulterzucken kannte Kay von ihrer Tochter Grace. Es war das eines Teenagers.
    »Was meinen Dad anging«, fuhr sie fort und machte sich gar nicht erst die Mühe, Kays Frage zu beantworten. »Was meinen Dad anging, kam irgendwann mal der Tag … also, ich möchte nicht auf Einzelheiten eingehen. Es kam der Tag, da habe ich erfahren, dass er nicht mehr unter dieser Adresse zu erreichen ist, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er umgezogen war. Das war 1990 oder so. Damals war er Mitte fünfzig. Es hat mich ziemlich mitgenommen, weil es auf irgendwas am Herz oder Krebs schließen ließ. Seitdem gehe ich davon aus, dass ich nicht viel älter werde. Und nun behaupten Sie, meine Mutter lebt noch, und ich kann es einfach nicht glauben. Für mich war sie schon vor langem gestorben. Wahrscheinlich ebenso wie ich für sie. Tatsache ist, dass, so gern ich sie auch sehen will, ich mich gleichzeitig davor fürchte. Weil sie nicht die Person sein wird, die ich in Erinnerung habe, genauso wenig, wie ich diejenige bin, an die sie sich erinnert.«
    »Haben Sie jemals – es tut mir leid, das ist bestimmt unpassend.«
    »Nur zu.«
    »Haben Sie sich jemals die Zeichnungen im Internet angesehen, mit denen man versucht hat, Sie darzustellen, wie Sie womöglich inzwischen aussehen könnten?«
    Dieses Mal war ihr Lächeln echt, nicht ironisch. »Ganz schön unheimlich, was? Wie nah sie dran waren. Das klappt
bestimmt nicht bei jedem. Ich meine, es gibt Leute, die sind fett geworden. Oh – Verzeihung.«
    Wäre nicht die Entschuldigung gefolgt, hätte Kay die Bemerkung niemals auf sich bezogen. Diese kindliche Taktlosigkeit war ihr bereits zuvor an Heather aufgefallen.
    »Sehen Sie mal«, sagte Heather, ihr Fauxpas bereits wieder vergessen. »Ich bin sicher, Sie verdienen nicht viel, aber könnten Sie mich nicht vielleicht in einem Motel unterbringen? Das Quality Inn an der Route 40 gibt es vielleicht nicht mehr, aber irgendetwas in der Art. Sie könnten mit Kreditkarte bezahlen, und da ich davon ausgehe, dass wir das hier bald geklärt haben, kann ich Ihnen das Geld bald zurückgeben. Hey, vielleicht kann meine Mom

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