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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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sagte er. »So steht es hier. Verkäuferin.«
    »Ich könnte mich beim Verkaufen und Einpacken noch mehr bemühen. Ich könnte …«
    Sie sah Randy durch ihre tränenbenetzten Wimpern an und gab es auf. Er war niemand, den sie rumkriegen konnte. Ihre Instinkte waren unfehlbar. »Gilt das ab sofort? Oder muss ich die restlichen eingeteilten Stunden noch abarbeiten?«
    »Das kannst du selbst entscheiden«, sagte er. »Wenn du deine letzten vier Stunden bis zum Feierabend abarbeiten willst, mach das. Wenn nicht, kriegst du auch nichts dafür bezahlt.«
    Sie überlegte kurz, ob sie aus ihrem Kostüm steigen und in ihrer Unterwäsche davonstolzieren sollte. Sie hatte das einmal in einem Film gesehen, und es hatte großen Eindruck hinterlassen. Aber hier war keiner, der ihr zu ihrer Befreiung hätte zujubeln können. Die Mall war um diese Zeit leer, was wiederum Teil des eigentlichen Problems war. Selbst eine gewissenhafte, wild entschlossene Verkäuferin konnte Kunden, die nicht vorhanden waren, keinen Käse andrehen. Jemand aus der Belegschaft musste entlassen werden, und es traf immer sie – als Letzte eingestellt, wenig Talent, nicht freundlich genug. Sie animierte die Kunden nicht, wenn überhaupt, versuchte sie sie eher vom Kauf abzubringen, ganz besonders, wenn es sich um eine der stinkigeren Käsesorten handelte, die sie kaum einpacken konnte, ohne sich zu übergeben.
    Das war bereits der zweite Job, den sie innerhalb der letzten acht Monate verloren hatte und aus demselben Grund. Sie konnte nicht mit Menschen umgehen. Sie ging nicht auf
sie zu, ergriff nicht die Initiative. Sie wollte einwenden, dass Mindestlohnjobs wie dieser nicht auch noch Eigeninitiative erfordern sollten. Sie wusste, wie man die Stunden herumbrachte, die schleichende Zeit überstand. Sie ertrug die Langeweile besser als sonst wer. War das nicht genug? Anscheinend nicht.
    Ihr war während des Vorstellungsgesprächs im November, als sie Leute für das Weihnachtsgeschäft einstellten, sofort klar gewesen, dass Randy ihr nicht gerade wohlgesinnt war. Sie regte seinen Samenfluss nicht an. Er war schwul, aber das war nicht der Grund. Sie versuchte, Sex möglichst zu umgehen. Nein, manche Leute reagierten auf sie und andere eben nicht, und sie hatte vor langer Zeit aufgehört, herausfinden zu wollen, warum das so war. Es kam nur darauf an, dass sie erkannte, wen sie beeinflussen konnte, wenn es nötig werden sollte. Auf seine eigene Art hatte Onkel sie beschützen wollen, während Tante sie verachtet hatte. Es hatte den Anschein, als ob sich die Leute von vornherein für oder gegen sie entschieden, und dabei blieb es dann auch.
    »Wissen Sie was?«, fragte sie Randy. »Wenn ich sowieso gefeuert bin, will ich auch nicht mehr arbeiten. Ich hole mir am Freitag mein Gehalt ab, und dann gebe ich das Kleid zurück.«
    »Dann kriegst du das aber nicht bezahlt«, sagte er.
    »Genau, das sagten Sie schon.« Sie kehrte ihm den Rücken zu und bauschte den roten Rock auf.
    »Gereinigt«, rief er ihr hinterher. »Das Kleid muss in die Reinigung.«
    Sie trat hinaus in die Mall, ein trauriger, verwahrloster Ort, der die meisten Kunden an Tysons Corner verloren hatte, das neuere und noblere Einkaufszentrum im Westen. Aber dieses hier war besser mit der Metro zu erreichen, der Grund, warum sie beschlossen hatte, hier zu arbeiten. Sie besaß kein Auto. Sie konnte noch nicht einmal fahren. Es war eins der Dinge, die Onkel ihr nicht hatte beibringen wollen. Und als sie später
ihr eigenes Geld verdiente, konnte sie sich nicht vorstellen, es in Fahrstunden zu stecken. Sie musste einfach weiterhin an Orten mit öffentlicher Verkehrsanbindung leben oder jemanden finden, der es ihr beibrachte. Sie dachte über die Art von Beziehung nach, die für Letzteres erforderlich gewesen wäre, und verzog das Gesicht. Es war gar nicht so, dass sie nie das natürliche Bedürfnis nach Sex verspürte. Sie fand zum Beispiel Mel Gibson in Der Vollstrecker sehr attraktiv. Sie glaubte sogar, dass dies eine Welt war, in der sie sich sehr gut durchschlagen könnte. Das Problem war, dass Sex etwas war, das sie zu ihrem Schutz einsetzte, eine defensive Haltung. Okay, okay, ich mach’s ja schon, tu mir nicht noch mal weh. Es war für sie zum Zahlungsmittel geworden, und sie wusste nicht, wie sie das wieder umkehren sollte. Wenn Randy zum Beispiel hetero gewesen wäre, würde sie jetzt vor ihm niederknien, auch wenn so was für sie der allerletzte Ausweg war. Besser noch, man konnte den Kerl

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