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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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diese Industriemaschinen wurden. Danach war es um einiges kleiner – es passte vielleicht noch einer Zwölfjährigen oder einem Zwerg. Randy würde ihr das Kleid sicherlich vom Gehalt abziehen und dann irgend so ein armes Mädchen dazu zwingen, es trotzdem zu tragen, damit die männlichen Kunden was zu gucken hatten, während sie ihren blöden Käse kauften. Dieser Scheißkerl. Sie warf das Kleid in die Mülltonne und ging wieder hoch, um ihre Hausaufgaben
zu machen. Ihr fehlte noch eine Hausarbeit für Statistik, aber der Professor war ein alter Mann, dessen Hände gewaltig zitterten, wenn er mit ihr sprach. Er würde Nachsicht walten lassen.

Teil VII
    SAMSTAG

Kapitel 27
    In Brunswick, Georgia, stank es. Zuerst versuchte Infante es seiner Einbildung zuzuschreiben, seiner grundsätzlichen Abneigung gegen den vor Fett triefenden Fraß der Südstaaten. Baltimore war schon Kulturschock genug gewesen, als er mit Anfang zwanzig dorthin gezogen war. Inzwischen hatte er sich nicht nur daran gewöhnt, er mochte es sogar lieber als Long Island. Anders als dort konnte ein Polizeibeamter in Baltimore von seinem Gehalt plus Überstunden leben. Vielleicht reichte das Geld hier unten noch weiter, trotzdem konnte er sich einen solchen Wechsel unmöglich vorstellen. Man kam einfach nicht drum herum, Brunswick stank, in jeder Hinsicht.
    Die Bedienung im Waffle House hatte wohl sein Naserümpfen beim Eintreten bemerkt.
    »Paahpiefaabriek«, sagte sie leise, als ob sie ihm das Kennwort für einen Geheimclub zuflüstern wollte.
    »Pappi-fabrik?« Er hatte größte Schwierigkeiten, die Leute hier unten zu verstehen, und das, obwohl sie so langsam sprachen.
    »Paa. Pier. Fahr. Brik«, wiederholte sie. »Daher kommt der Geruch. Machen Sie sich nichts draus, man gewöhnt sich schnell daran.«
    »Ich werde nicht die Zeit haben, mich hier an irgendwas zu gewöhnen.« Er schenkte ihr sein schönstes Lächeln. Er liebte Frauen, die ihm Essen brachten, selbst dann noch, wenn sie so schlicht und unattraktiv waren wie dieses untersetzte, pickelige Mädchen. Als er am Abend zuvor in Brunswick eingetroffen war, war es fast zehn Uhr gewesen, zu dunkel und zu
spät, um sich in der Nachbarschaft von Penelope Jackson und ihrem Freund umzusehen. Aber heute Morgen auf dem Weg zum Waffle House war er daran vorbeigefahren. Die Reynolds Street, zumindest der Block, in dem Tony Dunham gewohnt hatte und zu Tode gekommen war, sah ziemlich zusammengewürfelt aus. Die Häuser hatten entweder schon bessere oder schlechtere Tage gesehen, so recht ließ sich das nicht sagen. Andererseits hatte ein Großteil von Brunswick auf Kevin diese Wirkung, als ob es entweder in die Hoffnungslosigkeit abglitt oder sich nach einem lang anhaltenden Konjunkturrückgang gerade wieder berappelte. Nichts für mich , dachte er, während er die Stadt aus dem Fenster des Chevy beäugte, den er bei Alamo Rent-A-Car erhalten hatte. Als er sich dem Meer näherte und die sanfte Brise spürte, verstand er, was für die Gegend sprach. In Baltimore würde der Frühling noch eine Weile auf sich warten lassen. Das Wetter hier dagegen war freundlich, ebenso wie die Leute. Er schätzte das – am Wetter.
    »Oh, es war mit Sicherheit ein Unfall«, sagte der Brandprüfer der örtlichen Feuerwehr, ein Mann namens Wayne Tolliver, der Infante im Waffle House bei einer Tasse Kaffee Gesellschaft leistete. Infante hatte zuvor ein äußerst üppiges Mahl aus Eiern, Würstchen und Maisgrütze zum Frühstück verspeist, und er war froh, dass Tolliver erst kurze Zeit später eingetroffen war und ihn nicht beim Essen gestört hatte. »Sie war vorn im Wohnzimmer und sah fern, und er war im Schlafzimmer, rauchte und soff. Er ist eingeschlafen, hat dabei den Aschenbecher mit der brennenden Zigarette umgeworfen. Der ist dann auf einen kleinen Vorleger gefallen, und das ganze Haus …« Er warf die Arme in die Luft, als wolle er unsichtbares Konfetti verstreuen, »ging in Flammen auf.«
    »Was hat sie währenddessen getan?«
    »Der Rauchmelder hat nicht funktioniert.« Tolliver verzog das Gesicht. Er hatte ein rundliches, freundliches Gesicht mit rosigen Wangen und war wahrscheinlich jünger, als er mit seiner
von Sommersprossen überzogenen Glatze wirkte. »Wir gehen den Leuten ganz schön auf die Nerven mit unserer ewigen Leier, dass sie jedes halbe Jahr die Batterien für den Feuermelder wechseln sollen. Wie dem auch sei, es war Weihnachtsabend, kalt für die Gegend hier, und sie hatte ein kleines Heizgerät

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