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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Doughty
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»aber das wird bis zum nächsten Jahr warten müssen.« Wenn sie empört ist, zieht sie eine Schnute, runzelt die Stirn, bis ihre schönen braunen Augen ganz grässlich aussehen. »Ein ganzes Jahr!« Jetzt schläft sie. Der Arzt hat mir gesagt, ich solle nach Hause gehen und mich ausruhen, aber ich bleibe hier, für alle Fälle.
    Ich frage mich, wie lange ich damit weitermachen kann, ob es wohl möglich ist, den Rest meines Lebens mit dieser alternativen Version zu leben. Ich weiß – o Gott, ich weiß es bereits –, dass die Version nur so lange mir gehört, wie ich allein bin. Und schon liebäugele ich mit dem Alleinsein.
    Ich werde ruhiger, atme die simple Tatsache ein, dass nur Betty und ich da sind, hier in diesem Zimmer. Meine Gedanken sind voll von ihr, aber weil mir nichts zu sagen einfällt, was ich nicht schon eine Million Mal gesagt habe, lasse ich meine Hand auf ihr ruhen und sage ein paarmal: »Schätzchen … Schätzchen …« Ich betrachte ihr Gesicht und versuche, mir dieses Bild ganz fest ins Gedächtnis einzuprägen, damit es ewig darin bleibt, genauso scharf umrissen wie jetzt; wie die Sommersprossen über ihre lange Nase verteilt sind – ihre dichten Augenbrauen und die breite Stirn. Für eine Neunjährige hat sie ein reifes Gesicht. Man ahnt schon die Erwachsene in ihr. Die Windpockennarbe genau unter meinen Fingern, wo sie ihre Schläfe streicheln – die Wölbung ihrer Lippen. Sie hat sehr viel natürliche Farbe in den Lippen. Das schmeichelt ihrer blassen, sommersprossigen Haut. Sie ist sehr sonnenempfindlich, ganz wie eine Rothaarige. Vor Sonne müssen wir sie schützen.
    Ich will nicht, dass diese kurze Zeitspanne je endet. Ich denke an all die Momentaufnahmen von ihr, die in meinem Kopf entstanden sind – das letzte Mal, als ich sie in die Schule laufen sah, wie sie mit ihren Freundinnen geplaudert hat; und früher an diesem Morgen, bevor wir aus dem Haus gingen, wie sie vor dem Spiegel im Flur ihr langes Haar gebürstet hat, bis es sich in dem durch die Milchglasscheibe in unserer Haustür einfallenden Dämmerlicht kräuselte. Natürlich waren wir spät dran, aber sie ging nie aus dem Haus, ohne sich vorher das Haar zu bürsten. Pubertäre Eitelkeit war bei Betty früh ausgeprägt; die Stimmungsschwankungen setzten auch schon ein. Als sie mit Bürsten fertig war, blieb sie vor dem Spiegel stehen, um ihre neue Cordjacke zuzuknöpfen. Wir hatten sie an dem Wochenende in einem Ausverkauf gefunden, und sie wollte sie unbedingt tragen, obwohl sie ungefüttert war und sie in der Pause frieren würde.
    »Mum, findest du, dass die Ärmel ein bisschen lang sind?«
    Mein Liebling. Wenn mich jetzt irgendeine Form der Bewusstlosigkeit ereilen könnte, ich wäre vollendet, vollkommen.
    Nach einer kleinen Ewigkeit geht die Tür auf; David steht auf der Schwelle, groß und aufrecht, noch in seinem Anzug für die Arbeit, das graue Haar sorgfältig zurückgekämmt. Er sieht mich an, und das blanke Entsetzen spiegelt sich auf seinem Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen. Unsere Blicke verhaken sich ineinander, bis wir miteinander verbunden sind, vereint in diesem Paradox aus Schock und Ungläubigkeit. Dann wandert sein Blick zum Bett. Er schlägt sich die Hand vor den Mund, doch es ist zu spät. Er kann den hervorbrechenden Laut nicht aufhalten.

1. Teil
    Vorher

1
    Muskelerinnerung. Deswegen verhedderte sich meine Schulfreundin Jenny Ozu in Bachs Menuett Nr. 2 G-Dur. Sie gab ein öffentliches Konzert in der Stadthalle, auch wenn eher wenig Öffentlichkeit erschienen war: Es war zur Mittagszeit an einem Dienstag in den Osterferien. Ich zählte elf Leute im Publikum, Jennys Mutter und mich eingeschlossen, verteilt auf ein Dutzend Reihen steifer Holzstühle.
    Jenny saß am Klavier, einsam und allein auf einer weiten, von sackenden Samtvorhängen eingerahmten Bühne. Die Stadthalle wurde wenig genutzt, in der Luft hing dick der Staub. Jenny machte sich an ihr erstes Stück, das Menuett. (Das Programm, entworfen und gedruckt von ihrer Mutter, verkündete in stolzen Lettern: Jenny spielt Bach! ) Die ersten anderthalb Zeilen spielte sie sehr schön. Als es auf die Wiederholung zuging, grub ich meine Fingernägel in die Handflächen. »Ich mach mir solche Sorgen wegen der Wiederholung«, hatte sie mir anvertraut. »Ich weiß genau, ich werde einfach weiterspielen.« Sie hatte es unermüdlich geübt. Doch als es so weit war, glitt sie mühelos an den Anfang zurück. Ich lächelte ihr zu, obwohl sie sich auf

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