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Was geschah mit Angelika H.

Was geschah mit Angelika H.

Titel: Was geschah mit Angelika H. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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verboten, einen unerfreulichen Dezembertag mit Whisky zu beginnen, und murmelte etwas von Mumifizierung in reinem Alkohol und ähnlich konfusen Dingen, wie sie sich nur eine Achtzehnjährige mit blühender Fantasie ausdenken konnte. Markesch nickte väterlich, kippte den Scotch hinunter und rührte eine Weile in seinem Kaffee, bis sie ihre Erziehungsversuche aufgab und sich den anderen Frühstücksgästen zuwandte, einer bunten Mischung aus Tagedieben, verbummelten Studenten und selbsternannten Künstlern, die alle auf ihre Anerkennung als Frührentner zu warten schienen.
    Markesch machte, daß er nach draußen kam.
    Der Verkehr war so dicht, daß es eine halbe Ewigkeit dauerte, bis er sich mit seinem rostigen Ford in die endlose Autokarawane einfädeln konnte. Er fuhr Richtung Zollstock und dann am Volksgarten vorbei, kämpfte sich über den verstopften Ubierring zur Rheinuferstraße durch und rollte im Schrittempo bis zur Zoobrücke. Erst als der Rhein hinter ihm lag, auf der A4, die alle störenden Hindernisse unter einer dicken Schicht aus Asphalt begraben hatte, wurde der Verkehr flüssiger. Kompromißlos drückte er das Gaspedal bis zum Boden durch und brauste den grünen Hügeln des Oberbergischen Landes entgegen.
    An der Autobahnausfahrt Untereschbach verließ er die A4 und folgte den unfallträchtigen Landstraßen, die sich in kühnen Schlangenlinien durch Berg und Tal wanden, an Wiesen und Weiden vorbei, malerischen Dörfern, stillen Weihern und verspielt dahinplätschernden Bächen, Natur pur, so idyllisch und intakt, daß es schon wieder aufdringlich wirkte.
    Anton Hilling wohnte auf einer bewaldeten Anhöhe zwischen zwei Dörfern, die mehr Kühe und Hühner als Menschen beherbergten und der Landidylle entsprechend Apfelbaum und Birnbaum hießen. Die Zufahrt lag hinter einem ausgedehnten Scheunenkomplex verborgen, aus dem das vielstimmige Muhen glücklicher Kühe drang, und schwang sich holprig und kurvenreich zum Hügelkamm hinauf. Direkt hinter den Scheunen begann der Wald, kahle, knorrige Laubbäume, vom Winter entblättert, vom Sturm teilweise geknickt und gefällt, weiter oben in düsteres Nadelgehölz übergehend, nebeldurchzogen, abweisend und still, ein verwunschener Forst aus der Grimmschen Märchenwelt.
    Der steile, morastige Weg war fast zuviel für Markeschs altersschwachen Ford. Mühsam quälte er sich die Anhöhe hinauf, schnaufend, mit rauchendem Kühler, und Markesch fragte sich, wie ein Mensch nur auf den aberwitzigen Gedanken kommen konnte, in eine derart gottverlassene Einöde zu ziehen, wo es weder Neonreklamen noch Verkehrsampeln gab und die nächste Eckkneipe eine Tagesreise entfernt lag.
    Kein Wunder, daß es Angelika Hilling im Haus ihres Großvaters nicht mehr ausgehalten hatte.
    Für einen achtzigjährigen, todkranken Greis mochte die Abgeschiedenheit ja eine Labsal sein, aber eine junge Frau brauchte die Lichter der Großstadt und das Fieber durchtanzter Samstagnächte.
    Der Ford kämpfte sich schnaufend und stotternd um die letzte scharfe Kurve, und dort war es, Hillings Haus, an den Rand des Hügelkamms gebaut, hoch über dem weiten Tal thronend, von mächtigen, uralten Kiefern umstanden, ein ehrwürdiges Gemäuer mit schieferverkleideter, efeubewachsener Fassade, schmalen, hohen Fenstern mit gerippten Verschlägen, spitzgiebeligem Dach und einer großzügigen, talwärts gelegenen Terrasse, von der die Aussicht atemberaubend sein mußte. Zumindest im Frühling, wenn alles grünte und blühte und die Sonne das Grau unter den Bäumen vertrieb.
    Hilling schien nicht allein zu sein.
    Vor dem Haus standen drei Autos; Hillings leichenwagenschwarzer Mercedes, ein feuerwehrroter Porsche und ein mausgrauer VW-Käfer, der etwas abseits geparkt war, wie aus Respekt vor den beiden Nobelkarossen.
    Der Käfer gehörte zweifellos der gestrengen Mutter Oberin, jener stämmigen Krankenschwester, die Hilling zum Café Regenbogen begleitet hatte, aber über den Besitzer des Porsches konnte Markesch nur Vermutungen anstellen. Vielleicht war Angelika Hilling mit ihm heimgekehrt; oder der Alte war wesentlich rüstiger, als er aussah, und fuhr jeden Sonntag bei der Rentner-Rallye mit.
    Markesch stieg aus und ging auf das Haus zu. Ehe er klingeln konnte, wurde die Tür bereits geöffnet – die stämmige Mutter Oberin sah ihm streng ins Gesicht.
    »Da sind Sie ja endlich«, begrüßte sie ihn ungnädig. »Der Herr Oberst wartet schon seit dem frühen Morgen auf Sie.«
    »Ich habe mich im Wald

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