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Was geschah mit Angelika H.

Was geschah mit Angelika H.

Titel: Was geschah mit Angelika H. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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verirrt. Sie wissen doch, wie Stadtmenschen so sind – zuviel Natur verwirrt sie nur.« Er schob sich an ihr vorbei. »Was macht der alte Knabe?«
    »Der Herr Oberst erwartet Sie im Jagdzimmer. Und Sie sollten sich um etwas mehr Respekt bemühen, junger Mann.«
    »Kein Problem«, versicherte Markesch. »Respekt ist eins meiner liebsten Hobbies – noch vor dem Schnaps und den losen Weibern.«
    Sie rümpfte verächtlich die Nase und führte ihn durch den düsteren Korridor zur Tür am anderen Ende, an dem ein ausgestopfter Eberkopf mit tückischen Augen hing. Mit analytischer Brillanz schloß Markesch, daß sich dahinter das Jagdzimmer befand, und seine Vermutung sah er einen Moment später bestätigt. Der Raum war so mit Jagdtrophäen überladen, als hätte der gute Oberst die gesamte Tierwelt der umliegenden Landstriche massakriert: Hirschköpfe mit prächtigen Geweihen, Eber mit mörderischen Hauern, Füchse mit melancholischen Glasaugen, sogar ein Hase mit schlapp herunterhängenden Ohren. Die holzgetäfelte Decke war so niedrig, daß Markesch unwillkürlich den Schädel einzog. Schwere, geblümte Polstersessel, ein mächtiger runder Eichentisch und wie aus einem Stück geschnitzte, klobige Kommoden vertrieben den letzten Rest Leichtigkeit aus dem Zimmer.
    Der Oberst a.D. saß mit bleichem Gesicht in einem Rollstuhl am Fenster, stierte hinaus in den Wald und sah alles in allem so kränklich aus, daß Markesch fast nach dem Einbalsamierer gerufen hätte. Er war nicht allein. Am anderen Fenster stand ein mittelgroßer, mittelalter, mittelschwerer Mann, dessen hervorstechendste Eigenschaft seine blühende Gesundheit war, die sich nicht nur in seinen rosigen Wangen, strahlenden Augen oder seidig glänzenden Haaren verriet, sondern mehr noch eine physische Ausstrahlung war. Eine geradezu unnatürliche Lebensfreude ging von ihm aus, die auf jedes Virus und jede Bakterie abschreckend wie eine Überdosis Antibiotika wirken mußte.
    Markesch kam sich plötzlich klein, krank und lebensuntüchtig vor, eine vom Scotch gezeichnete menschliche Ruine, hoffnungslos in einen Lebenswandel verstrickt, vor dem jeder Arzt nur schaudernd warnen konnte.
    »Sie kommen spät«, krächzte der Alte und drehte sich mit seinem Rollstuhl zu ihm um. »Sehr laxe Dienstauffassung, junger Mann! Haben Sie irgend etwas zu Ihrer Entschuldigung vorzubringen?«
    Markesch zuckte die Schultern.
    »Nur das Übliche. Nichts, was Sie nicht schon einmal gehört hätten. Freuen wir uns doch gemeinsam, daß ich endlich hier bin.«
    Der andere Mann lachte leise. Das Lachen kam aus dem Bauch, offen, ehrlich, ungekünstelt, und Markesch war sicher, es schon einmal gehört zu haben.
    »Das ist Doktor Roth«, sagte der Alte. »Eugen Roth. Er war lange Jahre Angelikas Psychiater.«
    »Wir kennen uns.« Roth gab Markesch die Hand. Wie nicht anders zu erwarten, war sein Händedruck genau so, wie ein Händedruck sein mußte: nicht zu schlaff, nicht zu fest, nicht zu feucht, nicht zu trocken, nicht zu flüchtig, nicht zu lange. Das gesunde Mittelmaß. »Vom Telefon. Ich freue mich wirklich, Sie persönlich kennenzulernen. Auch wenn die Umstände leider unerfreulich sind.«
    »Was ist passiert?« fragte Markesch.
    »Ich habe einen Anruf bekommen«, krächzte der Alte. »Gestern abend. Einen Erpresseranruf. Angelika ist entführt worden. Der Entführer verlangt eine Viertelmillion Mark. Die Übergabe soll heute stattfinden. Deshalb habe ich Sie zu mir zitiert. Ich brauche Ihre Hilfe.« Er verzog abfällig das Gesicht. »Obwohl ich mir inzwischen nicht mehr sicher bin, daß ich den richtigen Mann engagiert habe.«
    Markesch pfiff leise durch die Zähne. »Hat der Anrufer sonst noch etwas gesagt? Haben Sie ein Lebenszeichen von Ihrer Enkelin bekommen?«
    »Er sagte nur noch, ich solle nicht die Polizei einschalten, wenn mir Angelikas Leben lieb sei. Ließ mich gar nicht zu Wort kommen. Hatte sogar die Frechheit, mich einen alten Knochen zu schimpfen!«
    Er schnaufte empört, und einen Moment lang hatte Markesch den Eindruck, daß ihn diese Beleidigung tiefer getroffen hatte als die Entführung seiner Enkelin. Vorausgesetzt, Angelika war tatsächlich entführt worden. Warum meldete sich der Kidnapper erst jetzt? Warum nicht schon früher? Sie war schon seit Wochen spurlos verschwunden … Andererseits erklärte es, warum sie sich weder bei ihren Sanyitenfreunden noch bei Doktor Roth oder ihrem Großvater gemeldet hatte.
    Markesch räusperte sich.
    »Wollen Sie zahlen? Und

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