Was geschah mit Angelika H.
Gefühlsausbruch peinlich berührt. »Ich bezahle Sie, damit Sie mir meine Enkelin zurückbringen, also tun Sie etwas für Ihr Geld. Doktor Roth wird Ihnen den Koffer bringen und Sie …«
»Einen Moment, Anton«, warf der Psychiater ein. »Ich glaube, wir sind uns alle darin einig, daß Angelikas Leben und Gesundheit am wichtigsten sind und wir alles tun müssen, um sie aus den Händen ihrer Entführer zu befreien. Aber wir sollten schon in Angelikas Interesse umsichtig vorgehen. Was ist, wenn der Entführer das Geld an sich nimmt, Angelika aber nicht freiläßt, sondern neue Forderungen stellt?«
»Das Risiko besteht«, nickte Markesch.
»Deshalb schlage ich vor, daß ich das Geld überbringe – während unser Freund Markesch als eine Art Sicherheitsreserve fungiert, sich im Hintergrund hält und versucht, den Entführer nach der Übergabe zu verfolgen.«
»Und wenn der Schweinehund etwas merkt?« ereiferte sich Hilling. »Wenn er merkt, daß er verfolgt wird, und Angelika umbringt?«
»Lassen Sie das meine Sorge sein«, sagte Markesch. »So etwas gehört zu meinem Job. Ich lebe davon, andere Leute heimlich zu verfolgen, vergessen Sie das nicht. Doktor Roth hat recht. Wir können uns nicht einfach auf das Versprechen irgendeines Kriminellen verlassen.«
Hilling wirkte nicht überzeugt, aber schließlich seufzte er und meinte resignierend: »Einverstanden. Sie sind der Fachmann. Tun Sie, was Sie für richtig halten. Bringen Sie mir Angelika zurück. Das ist alles, was ich von Ihnen verlange.«
Er brach wieder in einen schweren Hustenanfall aus, und als hätte sie die ganze Zeit an der Tür gelauscht und nur auf diesen Moment gewartet, platzte die Krankenschwester ins Zimmer und fuchtelte wütend mit den Armen.
»Genug! Genug jetzt! Sehen Sie denn nicht, daß der Herr Oberst krank ist? Er braucht Ruhe, Schonung. Gehen Sie! Gehen Sie endlich!«
Sie eilte mit flatterndem Kittel zum Rollstuhl und beugte sich über den hustenden Greis, wie eine große weiße Vogelmutter, der man ein Kuckucksei ins Nest geschmuggelt hat, aus dem ein besonders häßliches und liebebedürftiges Küken geschlüpft ist.
Doktor Roth zog Markesch sanft aus dem Zimmer. Im Korridor entschuldigte er sich und verschwand kurz in einem anderen Raum, um mit einem schwarzen Aktenkoffer zurückzukommen. Er klappte den Koffer auf, und Markesch hatte das erhebende Gefühl, einen Blick ins Paradies werfen zu dürfen: bündelweise Hundertmarkscheine, so strahlend blau, wie es nicht einmal der Himmel an einem schönen Frühlingstag sein konnte, die Offenbarung des Gottes Mammon, so greifbar nah und doch so fern …
Der Psychiater klappte den Koffer wieder zu, und Markesch erwachte wie aus einem Trancezustand.
»So einen Koffer habe ich mir immer zu Weihnachten gewünscht und nie bekommen«, brummte er. »Hart für ein Kind, finden Sie nicht auch?«
»Aus psychiatrischer Sicht ist Geld eher ein Hindernis auf dem Weg zur Reifung der Persönlichkeit«, meinte Roth mit klinischer Sachlichkeit. »Die Erfüllung materieller Bedürfnisse lenkt nur von den seelischen Defiziten ab. Deshalb sind die Reichen auch so unglücklich. Sie glauben, alles zu haben, aber sie leiden trotzdem an einer inneren Leere, die sich durch keine Jacht, keine Villa, keinen Privatjet füllen läßt.«
»Was für eine Tragödie! Ein Glück, daß ich nicht als Millionär zur Welt gekommen bin.«
Sie gingen nach draußen.
»Ich bin froh, daß Sie nicht darauf bestanden haben, die Polizei einzuschalten«, sagte Roth übergangslos. »Ich wollte es in Antons Gegenwart nicht erwähnen, um ihn nicht unnötig aufzuregen, aber … ich glaube nicht, daß wir es mit einer echten Entführung zu tun haben. Ich meine, ich habe keine Beweise, es ist nur ein Gefühl, Intuition, wenn Sie so wollen, aber … Es könnte durchaus sein, daß es Angelika ist, die hinter dieser Entführung steckt. Daß sie sie selbst inszeniert hat.«
Markesch runzelte die Stirn. »Warum sollte sie so etwas tun? Um an Geld zu kommen? So wie ich das sehe, braucht sie den alten Hilling doch nur anzurufen, und er würde ihr alles geben, was sie will.«
»Vielleicht geht es ihr gar nicht um das Geld. Vielleicht geht es ihr um etwas anderes, um Rache. Ich weiß aus der Therapie, wie gespannt Angelikas Verhältnis zu ihrem Großvater ist. Die Lieblosigkeit, mit der er sie nach dem Tod ihrer Eltern behandelt hat, in einer Zeit, als sie ohnehin psychisch sehr labil war, hat tiefe Wunden hinterlassen. Durchaus denkbar,
Weitere Kostenlose Bücher