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Was geschah mit Angelika H.

Was geschah mit Angelika H.

Titel: Was geschah mit Angelika H. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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Ursonate drang aus Fredy Boruschkas Wohnung. Er runzelte irritiert die Stirn. Das klang nicht gerade danach, als hätte der gute Fredy wahnsinnig viel Spaß am Geldzählen. Vielleicht stritt er sich mit seiner reizenden Liebsten um die Beute. Vielleicht war er sogar in diesem Moment dabei, sie zu massakrieren, weil er nicht zu den Männern gehörte, die gern teilten – vor allem keine Viertelmillion.
    Solche Dinge kamen vor. Solche Dinge passierten alle Tage.
    Markesch blieb vor der Tür stehen und horchte, konnte aber nur einzelne Wortfetzen verstehen, ausnahmslos Flüche und Beleidigungen.
    Er klingelte.
    Das Geschrei brach ab. Übergangslos trat Stille ein.
    Er klingelte wieder, aber die einzige Reaktion war ein kaum vernehmbarer geflüsterter Wortwechsel. Offenbar wollte sich Boruschka totstellen. Markesch lächelte böse. Verständlich, dachte er. Wer kann schon Besuch gebrauchen, wenn er einen Koffer voller Lösegeld im Haus hat?
    »Boruschka!« brüllte er und hämmerte mit der Faust gegen die Tür. »Machen Sie auf, Boruschka! Ich weiß, daß Sie da sind! Machen Sie auf, oder Ihre Tür ist gleich nicht einmal mehr das Holz wert, aus dem sie besteht!«
    Wieder das Geflüster.
    Dann rief die Frau mit vor Nervosität kieksender Stimme: »Fredy es nit do. Fredy kütt hück och nit mieh. Wä es dann do?«
    »Na, wer schon? Der Weihnachtsmann!« Markesch lachte hart. »Lassen Sie dieses alberne Versteckspiel, Boruschka. Wenn die Tür in zehn Sekunden noch immer geschlossen ist, komme ich mit der Polizei wieder, und dann können Sie die nächsten zehn Jahre hinter einer geschlossenen Tür verbringen – und zwar im Ossendorfer Knast. Haben Sie mich verstanden, Boruschka?«
    Um seine Worte zu bekräftigen, trat er so heftig gegen die Tür, daß das billige Preßspanblatt halb aus dem billigen Preßspanrahmen sprang. Drinnen setzte wieder die geflüsterte Strategiediskussion ein, aber nach wenigen Sekunden gewann das keifende Organ der Frau die Oberhand.
    Schwere Schritte näherten sich, ein Schlüssel drehte sich knirschend im Schloß, und dann stand er in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit vor ihm: der feiste Fredy, verschwitzt, verstört und abgehetzt und mit diesem Verbrechen-lohnt-sich-also-doch-nicht-Ausdruck in den Augen, den Markesch schon zu oft gesehen hatte, um mehr als nur milden Triumph zu empfinden.
    Das Weihnachtsmannkostüm hatte er bereits gegen seine schlabbrige Freizeitkombination aus Unterhemd, Unterhose, Socken und Bierflasche eingetauscht, aber an seiner Unterlippe klebten noch ein paar Watteflusen, die verräterischen Überreste des Rauschebartes, und das war mehr wert, als jedes mit Gewalt erzwungene Geständnis.
    »Ach, Sie sind das!« sagte Boruschka mit einem erfreuten Lächeln, das so echt war wie ein auf Klopapier gedruckter falscher Hunderter. »Ist ja ’ne tolle Überraschung! Mit Ihnen hätte ich ja am wenigsten gerechnet!«
    »Wen haben Sie denn erwartet? Den Geldbriefträger?«
    Markesch schob sich an ihm vorbei in den Flur, der seit seinem letzten Besuch kaum wohnlicher geworden war – das halb demontierte Moped war zwar verschwunden, doch dafür hatte sich die Zahl der leeren Bierkästen auf schätzungsweise zwanzig Stück erhöht.
    In der offenen Wohnzimmertür, hinter der es so gemütlich aussah wie in einer vollgestopften Abstellkammer, stand zitternd und ganz grau im Gesicht eine kleine dicke Frau in Morgenmantel und Filzpantoffeln und deutete entsetzt auf die Magnum, die deutlich sichtbar in seinem Hosenbund steckte.
    »Fredy!« kreischte sie. »Öm Joddes welle, Fredy, dä Käl hät ene Pistole! Fredy!« Wahrscheinlich hätte sie sich in ihrer Panik auch noch die Haare gerauft, doch das wurde von ihren giftgrünen Plastiklockenwicklern verhindert, einem futuristisch wirkenden Kopfputz, mit dem sie ohne weiteres in jedem schlechten Science-fiction-Film als Marsianerin auftreten konnte.
    »Keine Panik, gute Frau«, sagte Markesch souverän und knöpfte zum Beweis seines guten Willens die Lederjacke zu. »Geschossen wird nun im äußersten Notfall, aber dann gezielt daneben.« Er drehte sich zu Boruschka um. »Also, wo ist das Mädchen und wo ist der Koffer?«
    Boruschka wurde aschfahl. »Was denn für’n Mädchen? Was denn für’n Koffer? Was soll ’n der Scheiß? Verdammt, was soll ’n das bedeuten?«
    Wenn er sich auf diese Weise herausreden wollte, dann war es ein lausiger Versuch. Ebensogut hätte er ein Transparent mit der Aufschrift Alles Lüge schwenken können.

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