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Was geschah mit Angelika H.

Was geschah mit Angelika H.

Titel: Was geschah mit Angelika H. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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angefangen vom flehenden Rettet den deutschen Wald über das mahnende Baby an Bord! bis hin zum rebellischen Freie Fahrt für freie Bürger. Die Tachonadel zitterte im Leerraum jenseits der 160km/h-Marke nervös hin und her, der Motor dröhnte und heulte, als wollte er im nächsten Moment explodieren, und aus dem Frischluftgebläse drang der Gestank von überhitztem Öl, aber er nahm den Fuß nicht vom Gaspedal.
    Schnelligkeit war seine einzige Chance, den Geldkoffer zu retten, den kriminellen Weihnachtsmann dingfest zu machen und Angelika Hilling ihrem liebenden Großvater zurückzugeben.
    Das Autobahnkreuz Köln-Nord kam in Sicht, ein Kleeblatt aus Beton, seltsam unwirklich im verdämmernden Tag, und dann war er auch schon von der Bahn herunter und auf dem direkten Weg ins asphaltierte Herz von Chorweiler. Wo Fredy Boruschka, Schlagetot und Amateurkidnapper, zweifellos in diesem Augenblick in seiner verlotterten Sozialwohnung saß, Flaschenbier trank und breit grinsend das Lösegeld zählte.
    Natürlich, dachte Markesch, während er mit quietschenden Reifen durch eine scharfe Kurve donnerte. Fredy Boruschka ist der Entführer. Die Kostümierung als Weihnachtsmann war gut, aber er hätte diese Bierflasche nicht mit den Zähnen öffnen dürfen. Eine furchtbare Angewohnheit. Furchtbar und verräterisch.
    Gott, was für eine Ratte – die eigene Schwester zu entführen! Da kommt dieses arme Ding zu ihm, sucht Hilfe, Schutz, eine Unterkunft, er wirft sie nach zwei Tagen wieder raus – und dann dämmert ihm, daß er einen Fehler gemacht hat. Also sucht er sie bei den Sanyiten, schlägt Bikshu Arupa zusammen und dann – er muß sie gefunden haben. Oder sie ist von sich aus wieder zu ihm gekommen, weil sie keinen anderen Ausweg mehr wußte. Und seitdem ist sie seine Gefangene. Aber wer weiß, vielleicht stecken die beiden sogar unter einer Decke und haben die Lösegelderpressung zusammen ausgeheckt. Die Welt ist schlecht und die Menschen sind noch viel schlechter …
    Vor ihm tauchte die Hochhauskolonie auf, graue Grabsteine auf dem Friedhof der Städteplanung, düster und abweisend wie Luftschutzbunker. Markesch fuhr langsamer und hielt fünfzig Meter vor Boruschkas Haus an. Mit grimmiger Miene nahm er die Magnum aus dem Handschuhfach, überprüfte das Magazin und steckte sie griffbereit in den Hosenbund.
    Er stieg aus.
    Eisiger Wind pfiff ihm ins Gesicht. Die hellen, kalten Rechtecke der erleuchteten Fenster sahen wie feindselige Augen auf ihn herab. Er marschierte los, entschlossen, sich von nichts und niemand aufhalten zu lassen, ein Racheengel, der das Flammenschwert gegen ein moderneres Produkt der Waffentechnik eingetauscht hatte. Auf halbem Weg kam ihm ein Trupp Jugendlicher entgegen, sechzehn- oder siebzehnjährige Skinheads in nietenbesetzter Lederkluft, hochgeschnürten Fallschirmspringerstiefeln und mit schwarz-rot-goldenen Ich-bin-stolz-ein-Deutscher-zu-sein-Aufnähern an den Jacken. Sie johlten und grölten, als sie ihn entdeckten, grinsten blöde über die verschlagenen Gesichter und bauten sich drohend vor ihm auf.
    »Ey, du Arsch, ey, rück die Kohle raus, ey, los, ey!«
    »Quatsch nich’ rum, ey, polier ihm die Fresse, polier dem Arsch die Fresse, ey!«
    »Klar, ey, plattmachen, sofort plattmachen, ey, macht den Wichser platt, ey!«
    Markesch schmetterte dem ersten Skinhead kommentarlos die Faust unter das Kinn, daß er wie ein schlaffer Sack nach hinten kippte, trat dem zweiten mit voller Wucht in die Hoden, riß die Magnum aus dem Hosenbund und bohrte sie dem dritten in die Magengrube.
    »Oh, Scheiße, ey!« gurgelte der Glatzkopf.
    »Sonst noch irgendwelche Fragen?« zischte Markesch.
    Der Skinhead schluckte krampfhaft und keuchte: »Ey, Alter, war doch nur ’n Witz, Alter, ey, nur ’n Witz!«
    »Sicher«, nickte Markesch und rammte ihm das Knie zwischen die Beine. »Irrsinnig komisch. Zum Totlachen.«
    Der Skinhead klappte zusammen und spuckte halbverdautes Bier über den Gehweg. Markesch entschied, daß er schon genug Zeit mit diesem Gesindel verschwendet hatte, und betrat das Haus. Schon auf der Treppe im dritten Stock schlug ihm von oben vertrauter Lärm entgegen, das wütende Gebrüll eines Mannes, in symphonische Dimensionen gesteigert und vom schrillen Keifen einer Frau rhythmisch unterlegt, eine Ode an den Ehekrach, die Hymne der Hysteriker.
    Von düsteren Ahnungen erfüllt, beschleunigte er seine Schritte, und in der fünften Etage angekommen, fand er seine Ahnungen bestätigt – die

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