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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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hier raus sind, dann haben die beiden Alten mich gesehen. Hoffentlich dauert das nicht so lange.«
    Janas Vater hatte Ärger auf der Arbeit gehabt, und sie meinte, danach sei er total durchgedreht. Ihre Mutter, die sonst immer zu allem »ja und amen« sagen würde, habe sogar versucht, ihm das auszureden. Aber nichts zu machen. Sie zog die Schultern hoch. »Was soll’s, Assi, ich will hier raus. Pharmazie will ich sowieso nicht studieren. Werde ich jetzt wohl auch kaum noch kriegen. Wenn ich im Westen bin, dann klappere ich die Schauspielschulen ab. Eine nach der anderen. Bis mich eine nimmt. Und dann kann mir mein Alter das nicht mehr verbieten«, hatte sie zu mir gesagt.
    Alles stand kopf für ein paar Wochen. Jana musste immer wieder zum Direktor, der Kreisschulrat wurde eingeschaltet, und angeblich wurde auch der Bezirk befragt. Aber sie ließen sie auf der Schule. Seitdem hatte sie es schwer an der Penne. Sie war durch ihr vorlautes Wesen und diese auffällige Art, sich zu kleiden, schon vorher nicht gerade beliebt gewesen bei den Lehrern, aber jetzt ließen einige alle Hemmungen fallen.
    Ein paar Wochen später hatten wir sie gemeinschaftlich aus der FDJ ausgeschlossen. Ich hatte mich krankmelden wollen für diesen Tag, aber Jana bat mich zu kommen. »Assi, was soll das? Ich fühl mich wohler, wenn du dabei bist. Ich bin froh, wenn ich aus diesem Idiotenverein raus bin. Also heb schön deinen Arm, und gut ist es.«
    »Warum trittst du dann nicht einfach aus?«
    »Ach, die sollen mich mal schön rausschmeißen. Ich bin ja ganz froh, wenn sie mich mein Abi machen lassen. Vielleicht kann ich das noch brauchen im Westen. Also lassen wir ihnen das Vergnügen, mich wenigstens aus der FDJ rauszuschmeißen.«
    Es war ein absurder Nachmittag. Thomas Gütschow eröffnete die Versammlung. Ein schlaksiger Junge mit mattblonden Haaren, dessen Augenbrauen geschwungen waren wie Schwibbögen. Wir saßen in unseren Schulbänken, und der Direktor, ein dicklicher Mittvierziger in einem fliederfarbenen Hemd mit dunklen Schweißflecken unter den Achseln saß in der letzten Reihe und spielte klappernd mit seinem Schlüsselbund. Thomas nannte Jana immerzu die Jugendfreundin Fritsche. Er hatte seinen Vortrag vorher aufgeschrieben und las ihn nun wortwörtlich ab. In den Hofpausen der vorangegangenen Tage hatte es Diskussionen gegeben, wie man sich verhalten sollte. Alle wollten für den Ausschluss stimmen. Einige fühlten sich unwohl dabei. Aber nicht alle. »Ich werde mir wegen Janas Extrawürsten nicht mein Leben versauen«, sagte die kleine Kathleen und pulte an ihrem Nagellack herum.
    In der Versammlung saß Jana ganz vorn und sah aus, als würde sie Thomas’ Stottervortrag folgen. Der wollte auch Medizin studieren, wie ich, hatte sich drei Jahre für die Armee verpflichtet und war sogar seit einem halben Jahr Kandidat der SED. Er wolle dieses Land gestalten, hatte er gesagt, und das könne er mit der Partei am besten. Da könne man auch Kritik üben an der richtigen Stelle. Mit ihm gab es drei weitere Kandidaten in der Klasse. Keiner von ihnen hatte gesagt, dass das einfach gut für einen Studienplatz sei.
    Die Jugendfreundin Fritsche hätte unsere Republik verraten und würde mit dem Klassenfeind gemeinsame Sache machen, sagte Gütschow. Jana starrte ihn die ganze Zeit über an, so als wollte sie ihn durch ihren Blick aus dem Konzept bringen. »Gibt es Meinungsäußerungen?«, fragte Thomas in die Runde, und dann horchten wir alle in die Stille, die sich ausbreitete. Durch die Reihen versuchte ich, Kontakt zu Jana aufzubauen, doch die ließ ihren Blick über die gesenkten Köpfe schweifen und sah an mir vorbei. »Warum lassen wir Jana nicht einfach gehen? Was hat unser Land davon, sie hier zu halten?«, fragte ich halbherzig, obwohl ich die Antwort kannte.
    Bohnert, der Direktor, der von allen Bohne genannt wurde, obwohl er das Gegenteil von lang und dünn war, sprang hinten auf und durchquerte den Raum wie ein Dampfer. Er baute sich vor mir auf, sah mich kurz an, sprach dann aber zur ganzen Klasse. Er bekam am Hals rote Flecken, wie immer, wenn er sich aufregte. »Von einer zukünftigen Ärztin unserer Republik hätte ich so eine Frage nicht erwartet. Nicht nur, dass Fräulein Fritsche unsere Ideale verrät und sich mit einer hervorragenden Ausbildung, die die Arbeiter unseres Staates ihr finanziert haben, aus dem Staub machen will. Nicht nur, dass sie uns und unsere Hoffnungen in sie enttäuscht. Das vielleicht Wichtigste

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