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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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anfangen zu heulen, und dann sagten wir beide gar nichts mehr, und Julius öffnete eine der Schachteln Alte Juwel. Umständlich fummelte er die Packung auf und reichte mir eine Zigarette, und ich nahm sie und ließ mir auch Feuer von ihm geben, obwohl ich seit Monaten nicht geraucht hatte. Die Zigarette schmeckte muffig und kratzte im Hals, und ich beugte mich vor und küsste Julius, aber nur auf die Wange, und er lächelte.
    Jana hatte gesagt, wenn die Jungs bei der Armee sind, dann kannst du die alle vergessen, dann sind die wie weggetreten, selbst wenn die mal ein paar Tage auf Urlaub sind und wieder ihre normalen Sachen tragen. Dann stehen die da mit ihrem Landserhaarschnitt und wissen sich nicht mehr zu benehmen. Als wäre eine Käseglocke über die gestülpt.
    Als ich vor die Kaserne trat, saß Jana tatsächlich noch auf einer Bank am See. Der Himmel war diesig, und auch über dem Wasser hing ein nebliger Schleier. Anderthalb Stunden war ich weg gewesen. Jana fütterte allerdings keine Enten, sondern links und rechts neben ihr saß je ein Bereitschaftspolizist. Als sie mich sah, sprang sie auf und sagte: »Und wann wird geheiratet?« Dann drehte sie sich zu den beiden jungen Männern um, warf ihnen Kusshände zu und rief im Weggehen: »Bewacht uns noch schön«, und dann zog sie mich weg. »Meine Güte, wenn du mich noch länger hättest warten lassen, wäre ich eingeschlafen. Was machen diese Bepos eigentlich? Weißt du das? Sind die nun Armee oder Polizei? Hat Julius dir was erklärt? Diese beiden Dorftrottel da eben konnten kaum einen zusammenhängenden Satz herausbringen.«
    »Nein, darüber haben wir nicht geredet«, sagte ich. »Die schikanieren sich untereinander, sagt Julius, aber ihn jetzt wohl nicht mehr.«
    »Und sonst? Habt ihr alles wieder eingerenkt?«
    Ich zog die Schultern hoch und sagte: »Ich weiß nicht. Er war wie immer. Süß. Ein bisschen verwirrt. Er hat den Brief nicht erwähnt, und ich auch nicht. So als hätte es den gar nicht gegeben.«
    »Dafür habe ich mir hier also eine Blasenentzündung auf der Bank mit diesen beiden Hornochsen geholt? Obwohl, vermutlich hätte ich mir mit denen noch viel schlimmere Sachen holen können.«
    Sie umarmte mich, und später saßen wir in einem total überfüllten Zug auf dem Gang, zweite Klasse. Studenten, Lehrlinge und Soldaten drängten sich da, und Jana packte ihren Kassettenrekorder noch einmal aus. Sie steckte sich eine Zigarette an, und wir tranken aus der kleinen Flasche Kirschlikör, die sie am Bahnhof in Schwerin gekauft hatte. Mir war warm vom Schnaps, und mein Kopf lehnte an Janas Schulter, und ich spürte plötzlich, wie sie mir fehlen würde, wenn man sie rauslassen würde. Meine beste Freundin. Aber dann sangen wir das nächste Lied mit, das etwas leiernd aus dem Rekorder kam. Erst nur wir beide, aber dann der halbe Waggon, auf dessen Gang der Rauch in blauen Schwaden hing: Mit einem Taxi nach Paris, nur für einen Tag. Mit einem Taxi nach Paris, weil ich Paris nun mal so mag.

Im Schrebergarten
    Astrid riecht es sofort. Paul ist im Aufwachen an sie herangerutscht und hat seine Stirn an ihre gelegt. Er umarmt ihre Hüfte und zieht sie an sich, und Astrid riecht den alten, modrigen Rauch aus seinem Mund, begleitet von einer leichten Bierfahne. »Du riechst wie ’ne Kneipe«, sagt sie, und nach einem kurzen Zögern: »Aber gestern hast du doch Rotwein getrunken, und wieso riechst du so nach Rauch?« Paul steht wortlos auf und tappt durch die Dunkelheit. Sie hört ihn im Bad rumoren, und dann surrt seine elektrische Zahnbürste los. Ein paar Minuten später kommt er zurück ins Bett gesprungen, und der Kneipengeruch ist von einem künstlichen frischen Minzegeruch überdeckt. Astrid weiß nicht, was schlimmer ist. Die Vorhänge sind noch zugezogen, und Paul sagt mit diesem Minzeatem in die Dunkelheit: »Ich war noch unten in der Bar.«
    »Wie, du warst noch unten in der Bar?«
    »Na, heute Nacht. Ich konnte nicht schlafen, und so um halb eins bin ich runter, habe ein paar Bier getrunken und bin wieder hochgekommen.«
    »Während ich hier geschlafen habe?«
    »Ja, hätte ich dich wecken sollen?«
    Astrid kann Pauls Gesicht nicht sehen, so dunkel ist es noch im Zimmer. Aber allein die Vorstellung, dass Paul bei dieser Antwort grinst, genügt ihr, um aus dem Bett zu schießen und die Vorhänge zur Seite zu reißen. Das Licht trifft sie beide wie ein Hieb, und für einen kurzen Moment besteht die Möglichkeit zu lachen. Aber Astrid lacht

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