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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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sich vor das Gucklochfenster der Bar. Paul sieht auf den absurden kleinen Tempel vor dem Hotel, dessen Sinn ihm immer noch nicht aufgegangen ist. Ein Häuschen aus geschwungenen Steinbögen. »Machst du Urlaub hier?«, fragt der mit dem rasierten Kopf und zieht die Zigaretten aus der Schachtel. »Ja, meine Freundin ist aus Ostdeutschland, und ich wollte mit ihr mal nach Osteuropa fahren.« Was für ein bescheuerter Satz, denkt Paul.
    »Er ist auch aus dem Osten«, sagt der Mann und deutet auf sein Gegenüber. Paul zieht die Kippe aus der hingehaltenen Schachtel. »Wir sind Brüder. Kommen jedes Jahr hierher und gucken uns Kunst an. So zwischen Arbeit und Vergnügen.«
    Paul zündet sich die Zigarette an und atmet den ersten Rauch ein. Dieser erste Zug lässt das Gefühl des Durstes in seiner Brust verschwinden. Er hört nach Innen auf sein Herz, aber das verrichtet seine Arbeit, ohne zu stolpern.
    »Und wo aus dem Osten seid ihr her?«, fragt er.
    Der andere, der mit der Jacke, der einen Seitenscheitel und ein feineres Gesicht hat als sein Bruder, sagt: »Ich bin damals in Ostberlin aufgewachsen und Sascha in Hamburg. Wir haben nur einen gemeinsamen Vater.«
    »Das ist ja ein Ding«, sagt Paul und zieht wieder an seiner Zigarette.

Auf dem Gang, zweite Klasse
    Es roch absolut köstlich in der Küche, und zum ersten Mal seit Tagen verspürte ich wieder so etwas wie Appetit. Jana stand am Herd und rührte vorsichtig mit einer Gabel in der schwarzen gusseisernen Pfanne, die meine Mutter nur benutzte, um zähe Schnitzel zu braten. Sie konnte einfach nicht kochen, nur Milchreis oder Stampfkartoffeln gelangen ihr, aber so wie es jetzt in unserer Küche roch, so roch es normalerweise nie.
    Ich hatte nicht mit Jana gerechnet, weil sie ja eigentlich in der Schule sein sollte. Doch als es klingelte und ich die Tür öffnete und sie dort stehen sah, beschienen von einer schon warmen Märzsonne, da fing ich sofort an zu heulen. Jana nahm mich wortlos in den Arm. Sie hatte ihre rote Bluse unter der Brust zusammengeknotet, und ihre Haut war schon leicht gebräunt.
    Barfuß stand sie vor dem Herd meiner Eltern in einer verwaschenen grünen Jeans, die sie vor ein paar Wochen im Jugendexquisit gekauft hatte. Ihr schmaler Rücken ging in eine breite Hüfte über, und ich musste daran denken, dass sie manchmal sagte: »Ich hab nun mal ’nen fetten Hintern, da kann ich noch so viel hungern.« Dabei schlug sie sich auf die Hüften, als gehörten die einem Pferd, und vielleicht störte es sie tatsächlich nicht.
    Mit einem Schwung stellte Jana die Pfanne auf den Tisch, und die Rühreier mit Speck sahen wirklich hervorragend aus. Sie schmierte Butter auf eine warme Toastbrotscheibe, streute Salz drauf und reichte sie mir. »So, meine Süße, dann erzähl doch mal, warum du dich hier seit Tagen verkriechst?« Ich versuchte zu lächeln, aber ich begann sofort wieder zu heulen, nahm meine Gabel und begann mir das Rührei auf die Stulle zu schaufeln. »Herrje, so schlimm?«
    »Warum bist du eigentlich nicht in der Schule?«, fragte ich, und aus Schule wurde dabei tatsächlich Schuhule.
    Jana beugte sich vor, hielt sich den Bauch und jammerte: »Herr Sprenger, ich kriege meine Regel heute, und es tut so weh, wissen Sie. Es ist ganz fürchterlich, die Gebärmutter krampft richtig. Morgen ist es sicher schon besser. Aber heute, ich kann mich gar nicht konzentrieren.« Sie richtete sich wieder auf und grinste zufrieden: »Er ist rot angelaufen bis hoch zur Glatze, hat mir ein bisschen auf die Titten geguckt und mich gehen lassen. Ein ganz fairer Tausch, wie ich finde.«
    »Und hast du wirklich deine Tage?«, fragte ich und wischte mir die Wangen ab. »Ist das nicht scheißegal, Assi, glaubst du wirklich, ich bin hierher gekommen ins Vögelviertel, um mit dir über meine Monatsbeschwerden zu reden?«
    Jana sagte immer Vögelviertel, und ich musste immer darüber lachen, auch jetzt, was sie mit einem zufriedenen Nicken zur Kenntnis nahm. Natürlich hieß es Vogelviertel und lag unterhalb der Oststadt, eines der großen Neubauviertel. Die Straßen trugen hier Vogelnamen. Der Rotkehlchenweg führte zur Taubenstraße, und die Amselallee kreuzte unsere Schwalbenstraße. Jana mochte das Einfamilienhaus meiner Eltern, sie kam gern mit dem Fahrrad vom Datzeberg runter, fuhr durch das Friedländer Tor und dann durch die kleine Altstadt, die von einer mittelalterlichen Stadtmauer umgeben war, und dann zum Neuen Tor wieder raus, bis hierher. Neubrandendorf

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