Was ich dir noch sagen will
Ohr sprechen – auch wenn es ihr merkwürdig erschien.
«Kommen Sie?» Die Frau im grünen Kittel stand in der Tür. Ihre Worte waren nach wie vor freundlich, aber doch so bestimmt, dass Lisa sich nicht traute zu protestieren.
Sie nickte der Frau traurig zu. Dann wendete sie sich zum Gehen. Als Lisa die Tür erreicht hatte, sah sie sich noch einmal nach Erik um, nahm all ihren Mut zusammen und sagte: «Ich weiß, es ist ziemlich bescheuert … Aber darf ich ihm schnell noch eine Nachricht schreiben?»
Die Frau überlegte einen Moment, dann lächelte sie und sagte: «Aber natürlich. Ich warte draußen auf Sie.»
Mit zitternden Fingern fischte Lisa nun schnell ihren Kalender aus der Handtasche und riss wahllos ein Blatt heraus. Dann wühlte sie nach einem Stift. Obwohl sie wusste, dass sich irgendwo in der Tasche noch ein Füllfederhalter verstecken musste, fand sie auf die Schnelle nur einen Bleistift von Ikea. Der musste von ihrem letzten Besuch im Herbst stammen. Damals waren sie und Erik vergeblich auf der Suche nach einem neuen Schreibtisch für das Arbeitszimmer gewesen. Aber sämtliche Vorschläge von Erik hatte Lisa genervt abgelehnt. Schließlich hatte sie insgeheim ja gar kein Interesse daran gehabt, das Arbeitszimmer zu verschönern. Schließlich würde sich eine Neuanschaffung kaum noch lohnen, wenn sie den Raum schon bald als Kinderzimmer nutzen würden …
Bei dem Gedanken an die damalige Diskussion überkam Lisa ein furchtbar schlechtes Gewissen. Wie hatte sie Erik nur über all die Monate so im Unklaren über ihre Vorstellung der gemeinsamen Zukunft lassen können?
Deine Selbstsucht treibt Erik in den Tod, höhnte das kleine Teufelchen in Lisas Kopf, das schadenfroh darauf lauerte, sie endgültig zu brechen.
Lisa schämte sich und konnte den Anblick von Erik, wie er in diesem schrecklichen Raum lag und an all die erbarmungslosen Maschinen angeschlossen war, kaum noch länger ertragen.
Sie kniete sich in die Hocke und nutzte ihren Kalender als Schreibunterlage. Ohne lange zu zögern, folgte Lisa einfach einem Impuls, von dem sie nicht einmal wusste, ob es tatsächlich ihr eigener war. Der kleine Bleistift schrieb die folgenden Zeilen beinahe wie von selbst:
Mein Liebster,
es tut mir so unendlich leid, was geschehen ist.
Wenn ich nur die Zeit zurückdrehen könnte!
Ich bin bei dir – in jeder Sekunde und für immer ...
Deine Motte
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23.
Die nächsten drei Tage waren die schlimmsten in Lisas Leben.
Noch immer konnten die Ärzte keine Prognose darüber abgeben, wie lange Erik im Koma bleiben musste und ob er je wieder vollkommen gesund werden würde.
Lisa erhob sich von dem unbequemen Stuhl, den sie so dicht wie möglich an die rechte Seite von Eriks Bett geschoben hatte, und seufzte. Auch wenn Prof. Weiländer immer wieder mit leicht überheblichem Lächeln betonte, dass Lisa hier vergeblich wachen würde, bestand sie darauf, so viel Zeit wie möglich in Eriks Nähe zu verbringen.
Am liebsten würde sie sich in dieser Nacht in das noch immer freie Bett gegenüber legen, statt heute allein in ihrer verlassenen Wohnung zu schlafen, in dem einsamen Schlafzimmer. Gestern hatte ihr Vater darauf bestanden, sie mit nach Hause zu nehmen. Auch die vorherige Nacht hatte sie bei ihren Eltern verbracht.
Tagsüber war sie mit Renate und ihrer eigenen Mutter beinahe die ganze Zeit im Krankenhaus gewesen. Wie ein unbeteiligter Geist ließ sie die unzähligen Gespräche mit den Ärzten und den Schwestern über sich ergehen. Lauschte wie aus der Ferne der Diagnose über den komplizierten Bruch von Eriks Unterschenkel und den möglichen Heilungschancen. Immer wieder wurde sie mit den Risiken bis hin zum Tod konfrontiert. Doch Lisa weigerte sich mit aller Macht, diese Horrorszenarios zu akzeptieren.
Noch immer spürte sie deutlich diesen dumpfen Schmerz, der sich wie ein schwerer Klumpen zwischen Herz und Magen ausbreitete, sobald sie an das Informationsmaterial und all die Formulare dachte, die ihr im Laufe der zahlreichen Unterredungen überreicht worden waren. Man hatte ihr die Unterlagen in die Hand gedrückt, als würde es sich bloß um eine banale Routineangelegenheit handeln. Dabei stand dort auch alles Notwendige für den Fall einer Organspende! Denn sollte sich bei Erik der Gehirntod einstellen, würde Lisa in die unerträgliche Situation geraten, über das Abschalten der Geräte entscheiden zu müssen.
Da es sich bei dem Schwerverletzten um einen Arzt handelte,
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